Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

326 Frankreich. (November 12. 20.) 
zwischen den vom Glücke Begünstigten und denen, die deren Glück schauen, 
werde weniger durch menschliches Handeln als durch die latente Macht der 
Dinge geschlichtet werden. „Wir haben durch unser antiklerikales Werk die 
Lichter am Himmel, dessen Nichtigkeit wir gezeigt haben, ausgelöscht. Doch 
das Werk ist damit noch nicht vollendet; wir stehen erst an seinem Anfang.“ 
(Annahme im Senat 16. November mit 237 gegen 12 Stimmen.) 
12. November. (Kammer.) Trennungsgesetz. 
Nach einer mehrtägigen Debatte über das Trennungsgesetz erhält 
die Regierung ein Vertrauensvotum mit 391 gegen 143 Stimmen. In 
der Debatte wirft Kultusminister Briand den Katholiken vor, daß sie 
gesagt hätten, es müsse Blut fließen, um die Kirche zu retten. Welch ab- 
scheuliches Wort! Seine äußersten Bemühungen würden auf Versöhnung 
gerichtet sein. Dies sei seine Pflicht. Gegen die Rechte gewendet sagt er: 
Wir wollen nicht mit dem Papst wieder anknüpfen, auch nicht indirekt. 
Wenn Sie sich ruhig verhalten, wie der Papst Ihnen rät, werden Sie 
Ihren Kultus ausüben können; an dem Tage aber, wo Sie den Rat des 
Papstes vergessen, werden Sie sich uns gegenüber sehen mit der ganzen 
Strenge des Gesetzes. 
20. November. (Senat.) Interpellation über innere und 
auswärtige Politik. Militärabkommen mit England. 
Gaudin de Villaine interpelliert über die allgemeine Politik 
und spricht sein Bedauern darüber aus, daß die Regierung es sich besonders 
angelegen sein lasse, gegen die Religion zu kämpfen. Es sei zu bedauern, 
daß die Katholiken nicht den Mut hätten, auf die gegen sie gerichteten 
Verfolgungen mit den Mitteln der russischen Terroristen zu erwidern. Er 
möchte dann die Bestimmungen der französisch-englischen Entente kennen 
lernen; diese Entente sei der Prolog zu ernsten Abenteuern. Clémenceau- 
verdiene Tadel, daß er sich Picquart und Pichon zu Mitarbeitern gewählt 
habe. Clómenceau weist auf die glänzende diplomatische Vergangenheit 
Pichons und die edlen Charaktereigenschaften Picquarts hin. Ueber die 
französisch-englische Entente könne er nichts sagen. Was die Prophezeiung 
von Gefahren angehe, die daraus entstehen könnten, und was die Revanche- 
gedanken betreffe, so sei er entrüstet darüber, daß ein Senator ihm eine 
Falle habe stellen und ihm die Verpflichtung habe auferlegen können, ent- 
weder die Hoffnungen guter Franzosen zu enttäuschen oder kriegerische Er- 
klärungen abzugeben. Er werde daher keinerlei Antwort geben. — Er 
habe den Katholiken einen Aufschub bewilligt; er müsse aber die Kirchen- 
inventaraufnahme vor dem 12. Dezember zum Abschluß bringen. Die 
Truppen würden geduldig sein, aber wenn man auf sie schieße, würden 
sie auch schießen. In zehn Departements sei die Inventaraufnahme beendet. 
Die Regierung werde Sorge tragen, daß das Gesetz von den Kirchen- 
vorstehern und den Küstern respektiert werde. Der Ministerpräsident schließt 
mit der Erklärung: Die Regierung wird nicht besiegt werden. Ich habe 
die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen. (Beifall, Heiterkeit.) Gaudin de 
Villaine stellt fest, der Ministerpräsident wisse nicht, daß ein französisch- 
englisches Militärabkommen bestehe; das sei eine ungeheure Sache. Es sei 
unumgänglich notwendig, daß das Parlament endlich Aufklärung erhalte. 
Minister Pichon: man habe nicht das Recht, zu sprechen, wie der Vor- 
redner es getan habe, wenn man einer Partei angehöre, die Frankreich 
an den Abgrund führe. Die Regierung erhält mit 213 gegen 32 Stimmen 
ein Vertrauensvotum. 
 
	        
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