28 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 7.)
Regierung verboten. Weiter hat der Abg. Bernstein erklärt, in England
ginge man sogar so weit, unter Umständen Minister in effigie zu hängen
oder zu verbrennen. Ja, das ist so eine Sache. Wenn man erst anfängt,
die Minister in effigie zu hängen oder zu verbrennen, so ist das eine De-
monstration auf Abschlag. (Große Unruhe bei den Sozialdemokraten.)
Außerdem: die Nürnberger hängen keinen, den sie nicht haben. Die ver-
bündeten Regierungen stehen fest auf dem Boden des allgemeinen Wahl-
rechts, wie es besteht, und sie werden sich durch keine Agitationen von links
oder rechts von diesem verfassungsmäßigen Boden abdrängen lassen. (Bei-
fall.) Aber die Sache liegt Preußen gegenüber anders. Sie (zu den
Sozialdemokraten) haben in zahllosen Artikeln in ihrer Presse und hier im
Reichstage erklärt, Ihr Ziel ginge dahin, den bürgerlichen Staat, den mon-
archischen Staat zu beseitigen. Sie haben sich offen bekannt als Republi-
kaner, Sie haben erklärt, daß Sie den bestehenden Staat nur sozusagen auf
Kündigung dulden, bis Sie die Macht haben, den monarchischen, den bürger-
lichen Staat zu beseitigen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Nun
verlangen Sie, daß das Wahlrecht in der Weise geändert wird, daß Sie
zu der Stellung im preußischen Abgeordnetenhause gelangen, die Sie im
Reichstage haben. In diesem preußischen Staat, der auf dem armen,
magern preußischen Boden und seinem ungünstigen Klima sich entwickelt
hat unter einer Herrscherfamilie, die so viele staatsmännische Talente ge-
habt hat, wie wenige Herrscherfamilien der Welt, in einem Staat, von dem
es heißt, er habe sich groß gehungert durch seine Beamten, der eine Armee
besitzt, die die Bewunderung der Welt erweckt, will nun eine Partei ein-
ziehen und eine Stellung gewinnen, die offen erklärt hat, ihr Ziel sei die
Beseitigung des bestehenden Staates. Ich muß Ihnen offen sagen: ich be-
dauere es, daß die Arbeiter nicht in genügender Zahl im preußischen Parla-
ment vertreten sind. Ich bedauere auch die Politik mancher Parteien im
preußischen Abgeordnetenhause, die mit meinen politischen Auffassungen
nicht übereinstimmt. Aber eins muß ich Ihnen sagen, wenn Sie unter
diesen Verhältnissen in das preußische Abgeordnetenhaus einziehen wollen,
wenn das Wahlgesetz in Preußen so geändert werden soll, daß auch die
Arbeiter sich an der preußischen Gesetzgebung beteiligen, was ich wünsche,
dann müssen die Arbeiter politisch noch unendlich viel reifer werden, sie
müssen ihre Forderungen reduzieren auf das, was wirtschaftlich möglich ist,
sie müssen den bestehenden monarchischen Staat und die bürgerliche Gesell-
schaft anerkennen und eine bessere Reform durchmachen. Aber wenn unter
den jetzigen Verhältnissen in Preußen das allgemeine Wahlrecht eingeführt
würde, um der sozialdemokratischen Partei im preußischen Parlament die-
selbe Stellung zu geben, die sie im Reichstage hat, um ihr im preußischen
Staat, diesem wunderbaren Gebilde der Geschichte, die Majorität zu sichern,
so findet darauf das Wort seine Anwendung: „Nur die allergrößten Kälber
gehen zu ihrem Schlächter selber.“ (Lebhafter Beifall.)
Abg. Arendt (frks.): Keine Partei außer der Sozialdemokratie wolle
das Reichstagswahlrecht ändern. Was solle geschehen, wenn ein Einzel-
staat das vom Reichstag vorgeschriebene Wahlrecht nicht annehmen wolle?
Ich bin immer für eine Reform des preußischen Wahlrechts gewesen, aber
im jetzigen Augenblick würde mir eine durchgreifende Reform als eine Ver-
beugung vor der Sozialdemokratie infolge der Agitation der Straße er-
scheinen. Nichts ist einer Erweiterung der Volksrechte so entgegen wie die
Agitation der internationalen Sozialdemokratie. Aber auch diese Kinder-
krankheit des Wahlrechts wird überwunden werden, und wir werden mit
der Sozialdemokratie fertig werden. (Beifall rechts.) Abg. Kulerski
(Pole) begrüßt den Antrag sympathisch, da eine wirkliche Volksvertretung