Belgien. (November 27. — Dezember 14.) 361
27. November. 14. Dezember. (Kammer.) Debatte über den
Kongostaat, seine Beziehungen zu England und Belgien.
Auf eine Interpellation erwidert der Minister des Auswärtigen,
die belgische Regierung habe von der englischen Regierung keine Mit-
teilung betr. die Beziehungen zwischen Belgien und dem Kongostaate er-
halten. Die belgische Regierung werde im Bewußtsein ihrer Rechte und
der Rechte des unabhängigen Kongostaates bei völlig uneingeschränkter
Freiheit des Handelns der Richtlinie folgen, welche ihr die bestehenden
Interessen vorschreiben. — Am 28. erklärt Ministerpräsident Smet de
Naeyer, daß durch das Schreiben des Königs vom 3. Juni 1906 in keiner
Weise das bekannte Testament des Königs eingeschränkt, daß im Gegenteil
bei jeder Kundgebung des Königs seit der Bekanntgabe des Testamentes,
d. h. seit 1891, der feste Wille des Königs, den Kongo dem belgischen
Volke als Kolonie zu vermachen, verstärkt zum Ausdruck gelangt sei.
Wenn der König in dem letzten Schreiben die Bedingungen und Voraus-
setzungen genau umschreibe, unter denen es Belgien freistehen soll, sich den
Kongo anzueignen, so geschehe das nur in der Absicht, feste Vorsorge zu
treffen, damit dem Kongo zum Vorteil Belgiens sein ganzer wirtschaftlicher
Wert erhalten bleibe, und namentlich, damit Belgien aus der Uebernahme
der Kolonie keine finanziellen Lasten erwachsen. Zur Uebernahme gehöre
ein Gesetz, das den Kammern unterbreitet sei (bekanntlich seit 1901), und
das möglichst schleunig, jedenfalls noch im Laufe der gegenwärtigen Tagung,
zu verabschieden sei. Er erinnere an das, was seit 20 Jahren die Belgier
im Kongogebiet geleistet haben, und fordere das Land auf, dafür dem
König und seinen Mitarbeitern den verdienten Dank zu zollen. — Abg.
Hymans (lib.): Er sei ein Verehrer des Königs und ein Freund der
Kolonialpolitik und des Kongostaates. Aber das Schreiben des Königs
vom 3. Juni habe ihn und das Land beunruhigt; die jetzige Regierung
habe ein wertvolles Recht des Landes verscherzt, indem sie das auf einem
Vertrage beruhende Testament des Königs 1901 verfallen ließ. Seitdem
sei das Testament aus einem zweiseitigen Aktenstück ein einseitiges geworden,
an welchem die eine Seite (der König) nach Belieben Veränderungen und
Beschränkungen vornehmen könne. Was ihn noch mehr beunruhige, das
sei, daß über den Aktiven und Passiven des Kongostaates ein Schleier
liege; über seine Schulden werden die widersprechendsten Angaben gemacht.
Unannehmbar für Belgien sei der im Schreiben des Königs erhobene An-
spruch, daß Belgien allezeit die Kron= und Nationaldomäne sowie die
Stiftungen des Königs als unantastbar betrachte, weil dadurch die Volks-
souveränität und die parlamentarische Kontrolle lahmgelegt würden. Wenn
Belgien jetzt an das Uebernahmegesetz herantrete, so tue es das in voller
Unabhängigkeit und Autonomie, und auch der Souverän des Kongostaates
müsse bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes ausgeschaltet werden, ebenso-
wenig aber dürfe dabei die Rücksicht auf das Ausland oder die Furcht
vor fremden Drohungen mitwirken. Die Kammer habe sich ausschließlich
leiten zu lassen durch die Erwägung dessen, was Belgien frommt. Dazu
bedürfe sie einer rückhaltlosen Darlegung der wirklichen Verhältnisse des
Kongostaates, und diese hat die belgische Regierung zu beschaffen. Die
Erklärung der Regierung genüge nicht.
Am 29. führt Justizminister van den Heuvel aus: Der Abg.
Hymans habe zu Unrecht in den vom Souverän festgesetzten Klauseln zu
seinem Testamente eine Beschränkung der Rechte Belgiens erblickt. Sage
doch der König in jenem Schreiben: „Die Souveränität, welche Belgien
eines Tages über den Kongo ausüben wird, wird ihm von mir kommen