Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Vas Venuische Reich und seine einjeluen Glieder. (Februar 8. 9.) 29 
in Preußen solche Verfassungsverletzungen wie das Kolonisationsgesetz ver- 
hindert haben würde. Abg. Graf Reventlow (Antis.) lehnt den Antrag 
ab, weil er den föderativen Gedanken untergräbt. Abg. Delsor (Els.) 
lehnt das Wahlrecht für Zwanzigjährige, für Militärs und für Frauen 
ab, verlangt aber für Elsaß-Lothringen das Reichstagswahlrecht. 
14. Februar. Abg. Bebel (Soz.) greift scharf die preußische Re- 
gierung an, die sich am 21. Januar vor waffenlosen Arbeitern gefürchtet 
und blamiert habe; Prinz Ludwig von Bayern habe ihr mit seinem Ein- 
treten für das allgemeine Wahlrecht eine moralische Ohrfeige versetzt. 
21. Februar. Abg. Herzfeld (Soz.) greift die Justizpraxis an, die 
eine reine Klassenjustiz sei. Abg. Stöcker (chresoz.): Die revolutionäre 
Agitation mache es unmöglich für den Antrag zu stimmen. Die Sozial- 
demokraten haben in ihrer Resolution auf dem Parteitage ausgesprochen, 
gegen Dinge wie in Rußland seien alle Dinge recht. Der „Vorwärts“ hat 
ausgesprochen, daß die Räuber und Mörder in Kurland eine gerechte Ord- 
nung herbeigeführt haben. Diese Art, mit der Revolution zu buhlen, macht 
es uns unmöglich, auch nur um einen Strohhalm Ihnen entgegenzukommen. 
Herr Bebel hat auf dem Parteitage zu St. Gallen gesagt, wer glaube, daß 
auf dem parlamentarisch-konstitutionellen Wege die Ziele der Sozial- 
demokratie erreicht werden, kenne die Verhältnisse nicht oder sei ein Be- 
trüger. Die Sozialdemokratie redet allerlei bald von Revolution, bald 
von Evolution. So auch Herr Bebel. 1893 sagte er, daß, wenn die 
heutige Gesellschaft sich so weiter entwickle, es möglich sei, daß die Um- 
wandlung in die sozialdemokratische sich ebenso vollziehe wie die Umwand- 
lung des französischen Kaiserreichs in die Republik. Solchen Leuten können 
wir unmöglich die Mittel in die Hand geben, um ihre Ziele auszuführen. 
In Rußland haben wir klar gesehen, was die sozialdemokratische Revo- 
lution bedeutet. Ist einmal das Volk losgelassen, dann kann keiner dafür 
stehen, was geschieht. Das zeigen auch die Dinge in Hamburg. Wir 
können die Sozialdemokratie nur bekämpfen bis aufs Aeußerste. Das 
deutsche Volk ist ja sehr gutmütig. Aber was bietet ihm der Vorwärts. 
Er sagte, erst als die Herren in Kurland aus den Schlössern schossen, seien 
die Leute vorgegangen. So etwas lassen sich die Leser des Vorwärts weis- 
machen. Wenn Sie, Herr Bebel, sich so etwas weismachen lassen, dann 
sind Sie dümmer als kreuzhageldumm. (Heiterkeit.) 
Nach weiterer Debatte wird der erste Teil des Antrages gegen die 
Stimmen der Sozialdemokratie, Freisinnigen und Polen abgelehnt, der 
zweite Teil (Frauenstimmrecht und Herabsetzung der Alterswahlgrenze) 
gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. 
8. Februar. Das Preußische Abgeordnetenhaus bespricht 
das Unglück auf der Kohlenzeche „Borussia“ (1905 S. 106). Die meisten 
Redner äußern Vertrauen zum guten Willen der Regierung, nur eine 
schnellere amtliche Mitteilung über die Vorgänge wird gewünscht. 
8. Februar. (Württemberg.) Die Kammer der Abgeord- 
neten genehmigt den Gesetzentwurf betr. Aenderung des Berg- 
gesetzes, wonach das Schürfen nach Salz und Soolquellen aus- 
schließlich dem Staate vorbehalten bleibt, einstimmig. 
9. Februar. (Reichstag.) Die Steuerkommission über die 
Verkehrssteuern. 
Abg. Müller-Fulda (Z.) beantragt an Stelle der Regierungs-
	        
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