Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

382 Kufland. (Mai 30. Juni 1.) 
der Agrarfrage durch Expropriation zu unterstützen. Der Führer der Ka- 
detten Abg. Petrunkewitsch beantragt einen Aufruf, der die Hoffnung 
ausspricht, daß das Volk ruhig bleiben und das Ergebnis der Arbeiten 
der Duma abwarten wird. Er führt aus, die Regierung sei unfähig, das 
Land zu regieren, und bringe das Land in die größte Gefahr; Oesterreich 
und Deutschland verhandelten hinter dem Rücken Rußlands und seien bereit, 
Rußland mit deutschen Truppen zu besetzen. Man müsse das Land in 
Kenntnis setzen von der Schmach, welche ihm dies Ministerium bereitet. 
(Stürmischer Beifall.) 
Der Antrag Petrunkewitsch wird angenommen, aber der weitere 
Antrag, den Aufruf dem Minister des Innern zur Veröffentlichung zu 
übergeben, scheitert, weil das Haus nicht mehr beschlußfähig ist. (20. Juli.) 
30. Mai. Die Agrarkommission der Regierung unter Vor- 
sitz des Landwirtschaftsministers Nischinski schlägt vor, daß der 
Staat vier Millionen Desjätinen Ackerland sowie zweieinhalb Mil- 
lionen Desjätinen Wald zur Verteilung an die landarme Bauern- 
schaft gegen entsprechende Entschädigung vergeben soll. 
1. Juni. (Duma.) Der Abg. Borodin macht in der 
„St. Petersburger Zeitung“ folgende statistische Zusammenstellung 
über die Parteizugehörigkeit und die persönlichen Verhältnisse der 
Abgeordneten: 
Die 448 Abgeordneten, die bis zum 1. Juni in der Duma anwesend 
waren, lassen sich folgendermaßen gruppieren: Dem Alter nach: 60 Jahre 
und älter 11, 50—60 Jahre 55, 40—50 Jahre 167, 30—40 Jahre 181, 
jünger als 30 Jahre 84. Das mittlere Alter der Kadetten ist 41 Jahre, 
das der Arbeitspartei nur 35 Jahre. — Der Bildung nach: Mit höherer 
Bildung 189, mit Mittelschulbildung 62, mit Volksschulbildung 111, Auto- 
didakten 84, Analphabeten 2. — Dem Glauben nach: Griechisch-orthodoxe 
339, Altgläubige 4, Lutheraner 14, Katholiken 63, Baptisten 1, Juden 11, 
Mohammedaner 14, freie 1, Buddhisten 1. — Der Nationalität nach: Groß- 
russen 265, Kleinrussen 62, Weißrussen 12 (Russen im ganzen 74 Prozent), 
Polen 51, Litauer 6, Esten 4, Letten 6, Deutsche (Kolonisten) 4, Tataren 8, 
Baschkiren 4, Kirgisen 1, Tschetschenzen 1, Mordwinen 2, Wotjaken 2, Juden 
13, Bulgaren 1, Tschuwaschen 1, Moldauer 1, Kalmücken 1. Danach sind 
19 Nationalitäten in der Duma vertreten. Interessant ist es, wenn man 
die Zahlen und die Bedeutung der Nationalitäten vergleicht. So stehen 
z. B. 4 Deutschen 2 Wotjaken, 4 Baschkiren, 13 Juden, 4 Esten, 6 Letten 
gegenüber. — Dem Stande nach: Adel 164, Ehrenbürger 9, Geistliche 14, 
Kaufleute 11, Kosaken 12, Kleinbürger 24, Bauern 204 und Exemte 14. 
Unter den Kadetten sind 60 Prozent Adlige und 23 Prozent Bauern; in 
der Arbeitspartei sind 2.8 Prozent Adlige und 81 Prozent Bauern. — 
Nach der Beschäftigung sind u. a. folgende Zahlen von Interesse: Groß- 
grundbesitzer 42, mittlere Grundbesitzer 72, Kleingrundbesitzer 162, Indu- 
strielle 2, Kaufleute 24, Arbeiter 25, im Kommunal= und Landschaftsdienst 
61, im Staatsdienst 15, Professoren 14, Lehrer 23, Landschaftsärzte 19, 
Advokaten 38, Ingenieure 5, Redakteure 6, Studenten 1. — Nach der 
Parteizugehörigkeit: Konstitutionelle Demokraten (Kadetten) 153, Arbeits- 
partei 107, Parteilose 105, Autonomisten 63, Verband vom 17. Oktober 13, 
Partei der demokratischen Reformen 4, Gemäßigte 2, Handelspartei 1. Von 
den Parteilosen neigen zu den Kadetten 25, zur Arbeitspartei 9, zu der
	        
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