Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Mebersicht über die polilische Enkwichelung des Jahres 1906. 433 
zu setzen. In den Verhandlungen hierüber hatte die französische 
Regierung sich bereits herbeigelassen, die Souveränität und Inte- 
grität Marokkos und die kommerzielle Gleichberechtigung aller 
Nationen in Marokko auszusprechen (1905 S. 325). Indessen gleich 
die ersten Sitzungen der Konferenz zeigten, daß Frankreich trotz der 
Abmachungen des Vorjahres im wesentlichen auf seine früheren 
Ansprüche zurückkam: es forderte die Leitung der marokkanischen 
Polizei und eine bevorzugte Stellung in der marokkanischen Bank. 
In einigen Häfen allein sollten spanische Beamte in der Polizei 
beteiligt sein. Diese Bestimmungen würden Frankreich die Macht 
gegeben haben, durch Verwaltungsschikanen aller Art den fremden 
Handel zu belästigen und die wirtschaftliche Erschließung Marokkos 
allein den Franzosen vorzubehalten, falls nicht die fremden Regie- 
rungen durch Konzessionen auf anderem Gebiete ihren Untertanen 
die Zulassung erkauften. Die Beteiligung Spaniens an der Hafen- 
polizei bedeutete nichts, da Spanien weder geneigt noch fähig war, 
die Rechte Marokkos und der europäischen Staaten gegen Frank- 
reich wahrzunehmen, sich vielmehr gern mit einigen Zugeständnissen 
von Frankreich abfinden ließ. Die Beteiligung Spaniens hätte 
somit nur den Schein der Internationalität gewahrt und Frank- 
reichs Stellung diplomatisch verstärkt. 
Von den übrigen europäischen Mächten stand zunächst Eng- 
land, gebunden durch den Vertrag vom 8. April 1904, in dem ihm 
Frankreich Sondervorteile in Marokko zugesagt hatte (vgl. Jahr- 
gang 1904 S. 356), auf der Seite Frankreichs, Rußland, als 
Bundesgenosse und Schuldner Frankreichs, nicht minder, und ebenso 
endlich Italien, auf dessen Haltung wir unten noch eingehen werden. 
Die anderen Mächte hielten sich zurück. Deutschland allein trat 
den französischen Ansprüchen entgegen und verlangte nicht theore- 
tische, sondern tatsächliche Gleichberechtigung aller Staaten in Ma- 
rokko: dem Sultan sollte, schlugen die deutschen Bevollmächtigten 
vor, die Organisierung und Leitung der Polizei überlassen bleiben, 
unter der Bedingung, daß er europäische Offiziere als Polizeichefs 
anstelle; ein einer neutralen Kleinmacht angehöriger Offizier sollte 
unter der Oberaufsicht des diplomatischen Korps in Tanger die 
gesamte Tätigkeit der Polizei überwachen. Da hierdurch die Rechte 
Europäischer Geschichtskalender. XI VII. 28
	        
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