Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

434 Arbersicht über die polilische Entwickelung des Jahres 1906. 
aller Nationen in Marokko gesichert seien, könne man den Fran- 
zosen, als den an der Ruhe in Marokko meist interessierten Nach- 
barn, einige Vorrechte in der Polizei der an Algier angrenzenden 
Distrikte zugestehen (Mitte Februar). 
Kurz danach wurden auch die beiderseitigen Ansprüche in 
der Bankfrage deutlicher formuliert. Frankreich verlangte vier 
von den fünfzehn Anteilen des Bankkapitals, den übrigen Unter- 
zeichnern der Marokkoakte wollte es nur je einen zubilligen, Deutsch- 
land wollte Frankreich hier keinen Vorzug zugestehen; Frankreich 
wollte die Bank unter einen marokkanischen Kommissar, Deutsch- 
land unter das diplomatische Korps in Tanger stellen; nach Frank- 
reich sollte die Bank der französischen Konsulargerichtsbarkeit, nach 
Deutschland einem gemischten Gerichtshofe egyptischen Musters 
unterstellt werden; Frankreich wollte das Bankstatut durch einen 
Verwaltungsrat und die Generalversammlung, Deutschland durch 
den Verwaltungsrat und die Aufsichtsbehörde feststellen lassen. 
In den Beratungen in Kommissionen und im Plenum über 
diese Fragen blieb Deutschland in der Minderheit; es erhielt fast 
nur bei Österreich-Ungarn Unterstützung. Da aber beide Staaten 
auf dem Boden des in Madrid im Jahre 1880 fixierten inter- 
nationalen Rechtes standen, dessen Anderung Frankreich verlangte, 
so war eine Majorisierung nicht möglich; eine Neuregelung konnte 
nur durch Einstimmigkeit der Madrider Signatarmächte erfolgen. 
Falls sich also Deutschlands und Frankreichs Ansprüche nicht ver- 
einigen ließen, mußte die Konferenz resultatlos auseinandergehen. 
Ein solcher Ausgang hätte zunächst eine Verschlechterung der Be- 
ziehungen zwischen Deutschland und Frankreich gebracht und somit 
die allgemeine Lage ungünstig beeinflußt; speziell für die Marokko- 
frage wäre der bisherige Zustand mit der Gleichberechtigung aller 
Mächte in Kraft geblieben: die europäische Sanktion der von 
Frankreich erstrebten Privilegierung wäre also nicht zustande ge- 
kommen. Alle Vorteile, die Frankreich durch den Vertrag vom 
8. April 1904 erhalten zu haben glaubte, wären also hinfällig 
geworden. Vermutlich würde der Sultan von Marokko, der ja 
längst die französischen Bestrebungen mit Besorgnis betrachtet, im 
Vertrauen auf europäische Gegner Frankreichs alle Unternehmungen
	        
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