Nebersicht über die politische Enkwickelung des Jahres 1906. 435
von Franzosen in seinem Lande behindert und jeden Versuch, seine
Regierung zu beeinflussen, abgelehnt haben. Frankreich konnte
schließlich vor die Alternative gestellt werden, entweder europäischen
Mitbewerbern in Marokko das Feld zu räumen und die West-
grenze Algiers beständig von marokkanischen Banden heimgesucht
zu sehen oder Marokko mit Gewalt seinen Ansprüchen zu unter-
werfen, es zu erobern. Es ist einleuchtend, daß diese Eroberung
bei der Kriegstüchtigkeit der fanatischen Mohammedaner, der Un-
wegsamkeit und der Größe des Landes an und für sich ein schwie-
riges Unternehmen ist und gewiß mehrere hunderttausend Mann
erfordert: vollends gefährlich müßte aber ein solches Unternehmen
werden, wenn Frankreich während seiner Ausführung mit Deutsch-
land in Konflikt geriete. Und mit dieser Möglichkeit müßte die
französische Regierung rechnen, da ja bei der supponierten Lage die
Beziehungen beider Länder überaus gespannt sein müßten. Trotz
dieser Aussichten war die französische Regierung anfangs jeder
Nachgiebigkeit abgeneigt. Nach einer mehrwöchigen Diskussion ließ
sie einen Vorschlag einbringen, der in veränderter Form die Haupt-
prätensionen aufrecht erhielt: eine marokkanische Polizeitruppe von
2000 bis 2500 Mann sollte durch 16 Offiziere und 32 Unter-
offiziere französisch-spanischer Nationalität ausgebildet werden und
unter ihrer Leitung die Polizei in den Häfen wahrnehmen: also
derjenige Teil der Polizei, von dessen Handhabung der fremde
Handel in erster Linie abhing, sollte den beiden Verbündeten aus-
geliefert werden (8. März). Hiergegen trat Graf Welsersheimb,
der Bevollmächtigte Österreich-Ungarns, mit einem vermittelnden
Vorschlag auf: der Sultan sollte den Oberbefehl über die Polizei-
truppen behalten, französische und spanische Instruktoren sollten
mit einer marokkanischen Truppe in sieben Häfen die polizeilichen
Funktionen ausüben, im achten (Casablancay) sollte ein schweizerischer
oder holländischer Offizier den Befehl führen und zugleich als
Generalinspekteur der übrigen Polizei fungieren. Jährlich sollte
er an das diplomatische Korps Bericht erstatten und dieses sollte
so in letzter Instanz die gesamte Polizei überwachen. Durch diese
Kautelen glaubte der Antragsteller der Möglichkeit, daß Frankreich
und Spanien ihre polizeilichen Mittel mißbrauchen könnten, vor-
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