Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 13.—16.) 37 
alles wird gefordert, und das, was aus gutem Herzen gegeben wird, gilt 
als mangelhafte Erfüllung der Pflicht und Schuldigkeit. (Sehr richtig!) 
Darin liegt die Schwierigkeit für die Unternehmer, zu den sozialen Fragen 
selbst die richtige Stellung zu nehmen. (Sehr richtig!) Sie fühlen sich 
als die Angegriffenen und verlieren daher die Lust, ihrerseits mit frohem 
Herzen mitzuarbeiten. (Sehr wahr!) Ich will auch gern anerkennen, 
daß der Industrie durch die Durchführung der Schutzvorschriften in den 
Fabriken allerlei Schwierigkeiten auferlegt sind, die sich vielleicht zum Teil 
durch anderweitige Gestaltung der Bestimmungen hätten vermeiden lassen. 
Wir kommen aber über diese Schwierigkeit nicht hinweg, wenn nicht auch 
die Arbeitgeber und Unternehmer über ihre schlechten Launen wegkommen 
und nicht ihrerseits das eine anerkennen, daß die ganze Entwickelung 
unserer sozialpolitischen Gesetzgebung nicht abgeschlossen werden kann, son- 
dern daß man die Ausgestaltung auf diesem Gebiet weiter fortzuführen 
hat. Soweit es an mir ist, an der Fortführung unserer Aufgaben auf 
sozialpolitischem Gebiete mit der Industrie zusammenzuarbeiten, wird dies 
geschehen; aber ich mache darauf aufmerksam, so wünschenswert ein Zu- 
sammenarbeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist, so sehr ich 
selbst es anstrebe, so dringend erwünscht es ist, daß Regierung und Arbeit- 
geber zusammenarbeiten, so ist es doch eine Voraussetzung hierfür, daß die 
Herren Arbeitgeber ihre Aeußerungen auf einen Ton stimmen, der der 
Regierung das Zusammenarbeiten mit ihnen ermöglicht, daß die Regierung 
in die Lage versetzt wird, in Uebereinstimmung mit der öffentlichen Mei- 
nung auch die Interessen der Arbeitgeber zu vertreten. Hier spielt weniger 
das Maß des Gebens und Nehmens als der Ton, in dem gegeben und 
genommen wird, eine Rolle. Es soll mir eine Freude sein, wenn ich zum 
Wohle unseres Vaterlandes auf dem Gebiete des Arbeiterwohls nicht gegen, 
sondern mit den Arbeitgebern arbeiten kann. (Lebhafter Beifall.) 
13./14. Februar. Die Bayerische Abgeordnetenkammer 
diskutiert über die Frage, wieweit Reichsangelegenheiten in den 
Einzellandtagen besprochen werden dürfen. Ministerpräsident v. Po- 
dewils ist mit der Besprechung einverstanden, erklärt aber den 
Reichstag für das beste Forum dafür. 
14./22. Februar. (Reichstag.) In der Budgetkommission 
wirft Abg. Erzberger (Z.) dem Personalreferenten des Kolonial- 
amts vor, über mehrere Fälle bewußt unwahre Angaben gemacht 
zu haben. Erbprinz zu Hohenlohe weist die Behauptungen in 
mehreren Erklärungen zurück. 
15./16. Februar. (Preußen.) Die schlesischen Zentrums- 
abgeordneten des Reichstags und Landtags fassen folgenden Be- 
schluß über die Polenfrage in Oberschlesien: 
I. Wir bekennen uns in der sogenannten oberschlesischen Frage nach 
wie vor zu denjenigen Grundsätzen, welche die Zentrumspartei stets ver- 
treten hat und die insbesondere in dem Wahlaufrufe des Vorstandes der 
Zentrumsfraktion des Abgeordnetenhauses vom 29. April 1903 wie folgt 
niedergelegt sind: „Unsere Mitbürger polnischer Zunge halten wir selbst- 
verständlich für verpflichtet, sich ihrer Angehörigkeit zum preußischen Staate 
bewußt zu bleiben und alle sogenannten großpolnischen Bestrebungen, 
welche auf Loslösung preußischer Landesteile aus dem Staatsverbande
	        
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