Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Dentsche Reich und seine einzelnen Slieder. (Februar 22.) 43 
werde, der mit dem von beiden Teilen gehegten lebhaften Wunsche nach 
wahrer Freundschaft zwischen dem deutschen und amerikanischen Volke in 
Einklang stehe. So weit die amerikanische Note. Meine Herren, bei der 
Wichtigkeit unserer Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten haben 
die verbündeten Regierungen es jedenfalls für ihre Pflicht gehalten, alle 
Mittel zu erschöpfen, welche eine versöhnliche Regelung herbeizuführen ge- 
eignet sind, und sie hoffen, daß dieses hohe Haus diesem Gesichtspunkt 
Rechnung tragen wird. 
Abg. Graf Schwerin-Löwitz (kons.): Die Landwirtschaft hat an 
dieser Frage nur ein nebensächliches Interesse. Wenn die Industrie gewillt 
sein sollte, die schlechte Behandlung seitens Amerikas sich auch künftig ge- 
fallen zu lassen, so ist das ihre Sache. Wenn wir gegen die Vorlage sind, 
so geschieht das aus nationalen Gründen und aus der Erwägung heraus, 
daß unsere wirtschaftspolitische Position gegenüber Amerika durch diese Vor- 
lage nicht verbessert, sondern verschlechtert würde. Es entspricht ganz gewiß 
nicht den Grundsätzen der Billigkeit und Gerechtigkeit, wenn Amerika ohne 
Gegenleistung Konzessionen eingeräumt werden sollen, die andere Länder 
durch erhebliche Opfer haben erkaufen müssen. Eine Reihe europäischer 
Länder haben in den letzten Jahren zum Teil einen viel höheren General-= 
tarif gegenüber Amerika zur Durchführung gebracht, ohne daß Amerika 
daraus einen Anlaß zum Zollkriege geschöpft hätte; und anderseits hat 
Amerika uns gegenüber einen fast viermal so hohen Generaltarif ein- 
geführt, ohne daß wir mit einem Zollkriege geantwortet hätten. Unter 
diesen Umständen erscheint uns die Androhung eines Zollkrieges für den 
Fall, daß wir Amerika unseren Konventionaltarif nicht einräumen, als 
eine ungerechte und ungleichmäßige Behandlung Deutschlands von seiten 
Amerikas. Abg. Molkenbuhr (Soz.) will die Vorlage annehmen. Die 
Schwierigkeiten seien durch den deutschen Zolltarif hervorgerufen. Abg. 
Herold (3.): Die Vorlage hat uns ganz außerordentlich unangenehm über- 
rascht. Wir stehen auf dem Standpunkte, daß der Tarif vom Jahre 1902 
nur denjenigen Ländern gewährt werden kann, die ihrerseits uns Kon- 
zessionen machen. Der Entwurf will ein Jahr lang unseren Vorzugstarif 
Amerika gewähren, ohne daß dieses uns Konzessionen macht. Das ist ein 
völliger Bruch mit unserer bisherigen Handelspolitik. Man kann an eine 
Prüfung der Vorlage nur herangehen in der Erwägung, daß es sich nur 
um ein Provisorium handelt und daß man vielleicht doch noch zu einem 
Handelsvertrage kommen wird. Wir wissen aber aus Erfahrungen, die 
wir mit anderen Verträgen gemacht haben, daß trotz vorübergehender 
Schwierigkeiten die Möglichkeit bleibt, zu einem Abschlusse zu gelangen. 
Nur in dieser Voraussetzung können wir der Vorlage zustimmen. Nun ist 
ja der Termin bis zum 1. Juli 1907 etwas lang; aber in der Erwägung, 
daß die verbündeten Regierungen genügend Zeit haben müssen, wollen wir 
auch diesem Termine zustimmen. Davon kann aber nicht, wie Graf 
Schwerin meinte, die Rede sein, daß den Verhandlungen mit Amerika das 
Provisorium zugrunde gelegt werde; die Unterlage kann nur ein General- 
tarif bilden. (Zustimmung.) Halte aber Amerika auch in Zukunft an seinen 
Zollsätzen und an der bisherigen Zollabfertigung fest, so sei auch die Ge- 
fahr eines Zollkrieges nicht zu scheuen. Abg. Paasche (ul.) stimmt dem 
Vorredner zu:; die Redner der Linken sehen in der Vorlage ein Fiasko der 
deutschen Hochschutzzöllner. — Die Vorlage wird gegen einen Teil der 
Konservativen angenommen. 
22. Februar. Der Reichstag genehmigt in dritter Be- 
ratung den Handelsvertrag mit Abessinien.
	        
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