Das Deulshe Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 28.) 47
jetzt gefordert werde, sei lediglich die Schlußrate für die Seebefestigungen,
die bereits im vorigen Jahre bewilligt seien. Es sei absolut nötig für die
wirtschaftliche Stellung Tsingtaus, daß es eine gewisse militärische Sicher-
heit biete. Es müsse nach der Seeseite stark genug sein, um die Neutralität
aufrecht zu erbalten, nach der Landseite, um etwaigen chinesischen Unruhen
gewachsen zu sein
28. Februar. (Reichstag.) Veteranenunterstützung.
Abg. Nißler (kons.) beantragt Gewährung von Beihilfen an Kriegs-
teilnehmer. Nach §8 1 sollen die Kriegsteilnehmer, wenn sie sich in unter-
stützungsbedürftiger Lage befinden, insbesondere wenn sie für ihren Unter-
halt auf ein Einkommen von weniger als 600 Mark angewiesen sind, und
wenn ihre Erwerbsfähigkeit auf weniger als ein Drittel herabgesetzt ist,
oder wenn sie das sechzigste Lebensjahr vollendet haben, eine monatlich im
voraus zahlbare Beihilfe von 120 Mark jährlich erhalten. Nach § 2 sollen
die Hinterbliebenen das Gnadenquartal erhalten; nach § 3 unterliegt die
Beihilfe nicht der Pfändung; § 4 umschreibt den Kreis der von der Bei-
hilfe ausgeschlossenen Personen, wozu außer den Invalidenpensionsbeziehern
und den Nichtreichsangehörigen auch solche gehören sollen, welche nach ihrer
Lebensführung der beabsichtigten Fürsorge als unwürdig anzusehen sind;
85 schließt den Rechtsweg aus; § 6 bestimmt die Einstellung der Zahlung,
wenn eine ihrer Voraussetzungen in Wegfall gekommen ist; nach § 7 sollen
die Mittel alljährlich auf den Reichsetat gebracht werden, und in § 8 wird
als Termin des Inkrafttretens der 1. April 1906 festgesetzt.
Schatzsekretär Frhr. v. Stengel: Bei all meinem Wohlwollen für
die Kriegsteilnehmer muß ich die Bedenken gegen den Antrag rückhaltlos
vortragen. Im Jahre 1895 rechnete man mit einem Aufwande von jähr-
lich zwei Millionen Mark; damals hatte der Reichsinvalidenfonds noch
einen Ueberschuß von 83 Millionen Mark. Man konnte mit der Wahr-
scheinlichkeit rechnen, daß er noch auf Jahre hinaus die erforderliche
Veteranenbeihilfe aus den Zinsen dieses Ueberschusses bestreiten würde.
Jetzt hat der Invalidenfond schon eine Unterbilanz von über 30 Mil-
lionen Mark, und dieser Umstand hat schon 1904 dazu genötigt, ihm diese
Veteranenlast abzunehmen und diese auf den Etat des Reichsschatzamtes zu
übernehmen. Für 1906 sind im Etat über 16½ Millionen Mark vor-
gesehen worden; ob das schon der Höchstbetrag der Belastung ist, läßt sich
noch nicht voraussehen; man rechnet, daß vielleicht 1912 die höchste Be-
lastung erreicht werden wird, und zwar bis auf den Jahresbetrag von
25—30 Millionen Mark, und das ohne den Antrag Nißler. Nach unseren
Ermittlungen haben sich im ganzen noch zwischen 6—700000 Kriegsteil-
nehmer am Leben befunden; für jetzt wird diese Zahl auf 620 000 geschätzt;
zieht man die anderweiten Unterstützten und die Iwvalidenpensionsempfänger
ab, so bleiben immer noch über 560 000, welche bei der Gewährung von
Beihilfe eventuell in Betracht kommen können.. Der Antrag Nißler
ist, soweit er das Kriterium der Erwerbsfähigkeit ins Auge faßt, eigentlich
nur eine Wiederholung der Bundesratsbestimmungen. Bedenklicher ist es,
wenn als Kriterium der individuellen Unterstützungsbedürfnisse eine be-
stimmte Einkommensgrenze gezogen wird. Die lokalen, persönlichen und
Familienverhältnisse sind so verschieden, daß eine so ziffernmäßige Rege-
lung nicht angebracht ist. Der Bundesrat hat das Richtigere getroffen.
Am allerbedenklichsten aber scheint uns der Vorschlag, wonach schon die
Vollendung des sechzigsten Lebensjahres den Anspruch auf die Veteranen=
beihilfe begründet. Damit wird gewissermaßen von Reichsgesetz wegen
proklamiert, daß schon mit dem sechzigsten Lebensjahre die Erwerbsunfähig-