Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Denishe Reich und seine einzeluen Glieder. (März 65.) 51 
Fürbitten und verpflichteten Uns zu innigstem Dank. Aber damit nicht 
genug, in wahrhaft hochherziger, Unsere Erwartungen weit übertreffender 
Weise sind aus diesem Anlasse von Provinzen, Kreisen, Gemeinden, Ver- 
einen und Korporationen wie von begüterten Privatpersonen wohltätige 
und gemeinnützige Stiftungen errichtet, wodurch Unser Festtag auch zu 
einem Segenstag für die von Krankheit und Not bedrückten Landeskinder 
geworden ist. Gott der Herr lasse alle diese Werke barmherziger Nächsten- 
liebe wohl gelingen zu Nutz und Frommen der Menschheit und als ein 
Wahrzeichen des innigen und festen Bandes, welches das deutsche Volk 
und sein Kaiserhaus umschlingt. Mögen alle, die Uns in so erhebender 
Weise beglückten und durch treues Gedenken erfreutena Unseres wärmsten 
und herzlichsten Dankes versichert sein, den jedem einzelnen zum Ausdruck 
zu bringen leider nicht möglich ist. 
5. März. (Reichstag.) Interpellation über Verkehrs- 
störungen an der russischen Grenze. 
Freisinnige und nationalliberale Abgeordnete bringen folgende Inter- 
pellation ein: Ist es dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß infolge nicht 
genügender Vorbereitungen der russischen Zoll- und Eisenbahnverwaltungen 
weit über 1000 Eisenbahnwaggons mit deutschen Ausfuhrgütern, die recht- 
zeitig von der deutschen Grenzstation abgefertigt waren, nicht rechtzeitig 
zur zollamtlichen Abfertigung an der russischen Grenzstation kommen 
konnten? Und daß infolgedessen durch das Eintreten der erhöhten Zoll- 
sätze am 1. März, die nach den Vorschriften der russischen Zollverwaltung 
auf alle diese verspäteten Sendungen Anwendung finden sollen, den deut- 
schen Exporteuren ein großer Schaden erwächst? Was gedenkt der Herr 
Reichskanzler zu tun, um die deutsche Geschäftswelt vor diesem erheblichen 
Schaden zu bewahren? 
Nach einer Begründung durch Abg. Gothein (fr. Vg.) erklärt Staats- 
sekretär Graf Posadowsky: Ich glaube, das Haus wird mit mir ein- 
verstanden sein, daß eine solche Meinungsverschiedenheit zwischen beiden 
Regierungen vom Bundesratstische aus mit großer Sachlichkeit und Ruhe 
behandelt werden muß. Es dürfte zur Klarstellung der Sachlage beitragen, 
wenn ich die Hauptgesichtspunkte dieser Verhandlungen kurz auseinander- 
setze. Der Unterschied in der Zollabfertigung in der grundsätzlichen Be- 
handlung der Zollsätze zwischen dem deutschen und dem russischen Verfahren 
besteht darin, daß für die Anwendung der neuen Zollsätze in Deutschland 
maßgebend ist der Zeitpunkt, in welchem die Waren zur Zollabfertigung 
angemeldet sind, bezw. zur Zollabfertigung gestellt sind, während für die 
Anwendung der neuen Zollsätze in Rußland maßgebend ist die Beendigung 
der Zollrevision. Am 24. Oktober v. J. hat das Generalkonsulat in Peters- 
burg den Auftrag erhalten, an maßgebender Stelle anzufragen, nach welchem 
Tarif die Waren zu verzollen sind, die zur Zeit des Inkrafttretens des 
neuen Zolltarifs am 1. März cr. die Grenze passierten. Am 19. Dezember 
v. J. wurde unserem Botschafter der Auftrag erteilt, dahin zu wirken, daß 
alle Waren, die bis zum Ablauf des alten Tarifs, also bis Mitternacht 
zwischen dem 28. Februar und dem 1. März, die russische Grenze passiert 
haben, nach dem alten Zolltarif verzollt werden, oder daß wenigstens ent- 
sprechend unserm Verfahren der Zeitpunkt der Anmeldung als ausschlag- 
gebend anerkannt werde. Darauf ist auf weitere telegraphische Weisung 
am 26. v. M. durch unsern Botschafter der Wunsch ausgesprochen worden, 
daß außerdem Waren, die am 28. Februar die russische Grenze passiert 
haben, auch diejenigen Sendungen, die zu dem bisherigen Zolltarif die 
deutsche Grenze passiert haben, und die zur Ueberführung nach Rußland 
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