Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

62 Jas Veuische Reich und seine einzeluen Glieder. (März 14.—16.) 
eines Teils des Zentrums einen Antrag Pachnicke (fr. Vg.): Den Reichs- 
kanzler zu ersuchen, dahin zu wirken, daß die landesgesetzlichen Beschrän- 
kungen des Vereinsrechts für Frauen durch Reichsgesetz beseitigt werden, 
und gegen die Stimmen der Rechten und Nationalliberalen den Antrag 
Chrzanowski (Pole): Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem 
Reichstage einen Gesetzentwurf, betr. die Abänderung des § 130 StGB., 
vorzulegen, um der dem Sinne des gedachten Paragraphen widersprechenden 
Interpretation der Begriffe der Gefährdung des öffentlichen Friedens sowie 
der Anreizung zu Gewalttätigkeiten seitens des Reichsgerichtes Einhalt 
zu tun. 
14. März. (Hessen.) In der Zweiten Kammer erklärt 
Ministerpräsident Braun über die konfessionellen Streitigkeiten an 
den Hochschulen (vgl. 1905): 
Die Regierung steht mit dem Senat der technischen Hochschule wie 
auch mit den Regierungen derjenigen Bundesstaaten, welche Hochschulen 
unterhalten, auf dem Standpunkte, daß konfessionelle Verbindungen inner- 
halb der Studentenschaft unerwünscht sind, daß es aber an jedem recht- 
lichen Grunde für die von gewisser Seite angestrebte Aufhebung der kon- 
fessionellen Verbindungen fehlt, und daß deshalb nur eine Vertretung der 
gesamten Studentenschaft, keinesfalls unter Ausschluß einzelner oder ganzer 
Kreise, insbesondere der konfessionellen Verbindungen, denkbar und an der 
technischen Hochschule zu Darmstadt zulässig ist. Das Bestreben, die kon- 
fessionellen Verbindungen von der gesamten Vertretung der Studentenschaft 
auszuschließen, ist durch einen vor wenigen Tagen gefaßten Beschluß der 
Studentenschaft zunächst aufgegeben worden, indem der unter Ausschluß 
der konfessionellen Verbindungen gebildete provisorische Ausschuß aufgelöst 
und der nach den Satzungen unserer Hochschule statthafte Ausschuß wieder- 
hergestellt worden ist, in dem auch die konfessionellen Verbindungen ver- 
treten sind. Es kann deshalb festgestellt werden, daß zurzeit ein Hochschul- 
konflikt in unserem Lande nicht besteht. 
15.17. März. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Dritte 
Beratung des Etats. 
Abg. Frhr. v. Zedlitz (srk.) polemisiert gegen die Beschlüsse der 
Reichssteuerkommission, die durch Einführung der Fahrkartensteuer Preußen 
den Hauptteil der Kosten aufbürden wolle. Abg. Wiemer (fr. Vp.) ver- 
wirft die Fahrkartensteuer ebenfalls und empfiehlt eine Reichseinkommen- 
steuer. Weiter tadelt er, daß in den Schulen eine Agitation für den 
Flottenverein getrieben werde. Kultusminister Studt: Es sei keine Rede 
von Agitation, die Schüler hätten nur ihrem Patriotismus Ausdruck ge- 
geben. Abg. Friedberg (nl.): Fahrkartensteuer und Personentarifreform 
ständen in innerem Widerspruch miteinander. Aber eine Reichseinkommen- 
steuer sei nicht möglich, da man schon Gemeinden mit 250 Prozent Kom- 
munalsteuern habe. — Hoffentlich mache die Eisenbahngemeinschaft weitere 
Fortschritte. Abg. Herold (3.) protestiert gegen die Angriffe auf die 
Reichssteuerkommission. — In den nächsten Tagen werden namentlich pol- 
nische Fragen behandelt. — Am 17. wird der Etat in dritter Lesung ge- 
nehmigt. 
16. März. (Reichstag.) Mitglieder aller bürgerlichen Par- 
teien bringen folgenden Antrag zum Schutze der Heimarbeiter ein: 
Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu 
ersuchen, I. möglichst bald dem Reichstage einen Gesetzentwurf zur Rege-
	        
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