Fas Fenisihe Reith und seine einzeluen Glieder. (April 5.) 91
uns meistens danach, weil es unsere inneren Verhältnisse nicht kennt. Ich
habe das Vertrauen, daß der Kanzler eine Politik vertreten wird, die, mit
starkem Bewußtsein der eigenen Kraft ohne Chauvinismus, ohne jede
Brüskierung, ohne erfolglose Liebeswerbungen allein die eigenen Interessen
des Landes berücksichtigt. (Lebhafter Beifall im Zentrum.)
Abg. Bebel (Soz.) tadelt scharf die auswärtige Politik, die wegen
der bedeutungslosen Beziehungen zu Marokko den Frieden gefährdet habe.
Der Reichstag werde von oben herab behandelt: warum betrage das deutsche
Weißbuch nur den zehnten Teil des französischen Gelbbuchs? Die Er-
klärungen des Reichskanzlers seien widerspruchsvoll; Bismarck hätte weder
die Kaiserreise nach Tanger noch die Konferenz zugelassen. Ebenso fehler-
haft sei die deutsche Politik gegen Rußland, dessen barbarische Politik man
durch Anleihen gestützt habe, obgleich es überschuldet sei.
Während dieser Rede erleidet Reichskanzler Fürst Bülow einen
Ohnmachtsanfall. Die Sitzung wird unterbrochen. Nachdem der Kanzler
in ein anderes Zimmer gebracht worden ist, wird die Sitzung fortgesetzt.
Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.) billigt die auswärtige Politik,
tadelt aber die innere, die mit der geplanten Diätenbewilligung ins demo-
kratische Fahrwasser steuere. Abg. Bassermann (ul.) hält dagegen die
Diäten im Interesse der geordneten Geschäftsführung für nötig und ver-
teidigt die auswärtige Politik gegen Bebels Kritik, der dem Gelbbuche viel
zu großes Vertrauen schenke. Die Haltung Italiens und Rußlands habe
unangenehm berührt. Präsident Graf Ballestrem teilt mit, daß das
Befinden des Reichskanzlers zu ernsten Befürchtungen nicht Anlaß gebe.
Abg. Liebermann v. Sonnenberg (vwirtsch. Vg.) fordert Massenaus-
weisung der russischen Flüchtlinge. Abg. Schrader (fr. Vg.): Deutschland
habe zwar den festen Zusammenschluß Englands und Frankreichs nicht
brechen können, aber es sei auch allein so stark, daß es in jeder Krisis
Verbündete haben werde. Leider werde die friedliche Politik Deutschlands
draußen nicht überall friedlich erkannt, woran manche Kundgebungen und
die reaktionäre Politik im Innern, besonders Preußens, mit Schuld seien.
Deshalb hätte es auch Sympathien in Italien verloren.
Nach einigen weiteren Debatten über Spezialfragen wird der Etat
des Reichskanzlers genehmigt und der Reichshaushaltsetat in zweiter Lesung
eendet.
5. April. (Württemberg.) Durch den Einsturz eines Gast-
hofs in Nagold werden 50 Personen getötet.
5. April. (Sachsen.) Da in der Zweiten Kammer keine
Zweidrittelmehrheit für eine Anderung der Zusammensetzung der
Ersten Kammer zustande kommt, so ist die Reform der Ersten
Kammer gescheitert. — Am 7. wird der Landtag geschlossen.
April. Die Frage, ob die russische Anleihe in Deutschland
aufgelegt werden soll, wird viel besprochen. Einige Stimmen for-
dern die Aufhebung der Lombardfähigkeit russischer Staatspapiere
bei der Reichsbank. Die Regierung lehnt es ab.
April. Ordensauszeichnungen für Algeciras. Telegramm an
Goluchowski.
Der Kaiser verleiht Frhrn. v. Radowitz den Schwarzen Adlerorden,
Grafen Tattenbach die Brillanten zum Roten Adlerorden erster Klasse, Ge-