Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1907. (48)

126 Deas Deutsthe Reith und seine einjelnen Glieder. (Juni / August.) 
bracht, daß es Leute gibt, die kein Bedenken trugen, seine Lehre zu em- 
pfehlen und ihn derartig mit Lobsprüchen zu überhäufen, als ob er ein 
Hauptverteidiger des Glaubens gewesen wäre, der sogar mit dem Apostel 
Paulus zu vergleichen und durchaus wert sei, daß sein Andenken durch 
Errichtung eines Denkmals für die Bewunderung der Nachwelt unsterblich 
gemacht werde. Freilich, man muß diejenigen, die so denken, entweder 
als in Unkenntnis des katholischen Glaubens befangen oder als widersetz- 
lich gegen die Autorität des apostolischen Stuhles halten, da sie die Ver- 
leumdung erfunden haben, derselbe hänge veralteten Anschauungen an und 
widersetze sich dadurch dem Fortschritt der Wissenschaft, beschneide gerade 
den scharfsinnigsten Geistern die Flügel und trete ihnen, wenn sie die 
Wahrheit lehren wollten, entgegen. Man kann jedoch nichts Falscheres 
und Unbilligeres sich ausdenken. Freilich mißbilligt die Kirche die Frei- 
heit des Irrtums und wacht darüber, daß die Gläubigen sich nicht von 
Trug umgarnen lassen. Allein sie verbietet es ganz und gar nicht, ja sie 
empfiehlt es sogar inständig und rät dazu, daß die göttlich überlieferte 
Wahrheit, zu deren Hüterin sie eingesetzt ist, je nach der Beschaffenheit der 
Völker und Zeitalter noch klarer entfaltet und durch rechtmäßige Aus- 
legung entwickelt werde. Deshalb liegt es auf der Hand, daß für die Ver- 
urteilung der Schriften Hermann Schells kein anderer Grund ersichtlich 
sein kann, als der, daß in ihnen das Gift der Neuerungen und solche 
Lehren, die dem katholischen Glauben entgegen sind, enthalten waren. 
Darum verkündigen wir, daß du dich um die Religion und ihre Lehre 
höchst verdient gemacht hast, und sind der Ansicht, daß du dem Berufe 
eines Theologen trefflich entsprochen hast dadurch, daß du klar dargelegt 
hast, was im vorliegenden die Lehre der Kirche ist, und die Gläubigen 
warnen wolltest. Wir beglückwünschen dich deshalb von Herzen. Zugleich 
ermahnen wir dich dringend: fürchte nicht den Tadel der Gegner, der dir 
zur Ehre und zum Ansporn gereichen muß; entziehe deine Geisteskraft und 
deine Feder nicht der Verteidigung der katholischen Glaubenslehre. Als 
Unterpfand der göttlichen Gnade und als Erweis unseres Wohlwollens 
erteilen wir dir von Herzen den apostolischen Segen. Gegeben zu Rom 
bei St. Peter, am 14. Juni 1907, im vierten Jahre unseres Pontifikats. 
Pius PP. X. 
Der Protest Commers und der Papstbrief erregten in katholischen 
Kreisen große Erbitterung. Die „Kölnische Volkszeitung“ schreibt: Zu den 
„Entgleisungen“ oder besser gesagt zu der pietätlosen, der Persönlichkeit 
und dem Charakter Schells nicht gerecht werdenden Art und Weise, wie 
Professor Commer einen verstorbenen hervorragenden katholischen Gelehrten 
und ehemaligen Freund behandelte, durfte man nicht schweigen. Wäre 
Papst Pius X., welcher nach Lage der Dinge auf Berichterstattung über 
das Commersche Buch angewiesen war, über die mit der christlichen Nächsten- 
liebe nicht vereinbare Seite desselben richtig informiert worden, so erschiene 
es ausgeschlossen, daß ein Belobigungsschreiben an Professor Commer in 
der jetzt vorliegenden Form (siehe Kölnische Volkszeitung Nr. 558) erfolgt 
wärec. Und hätte Papst Pius X. zutreffende Mitteilung von den Namen 
und der wahren Absicht der Komiteemitglieder für Errichtung eines Grab- 
denkmals zum Andenken Schells erhalten, so würde er dieselben in seinem 
Schreiben niemals als Leute bezeichnet haben, welche „entweder in Un- 
kenntnis des katholischen Glaubens befangen" oder „widersetzlich gegen die 
Autorität des apostolischen Stuhles“ seien. 
Trotzdem wird von Rom aus angeordnet, daß der Papstbrief in 
allen kirchlichen Amtsblättern veröffentlicht wird. 
Anfang Juli bringt die „Corrispondenza Romana“ Enthüllungen
	        
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