Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

86 Das Beisöhe Neich und seine einzelnen Elieder. (März 8.) 
der Wirtschaftspolitik für sich in Anspruch zu nehmen und andern nicht 
gönnen zu wollen. Dann kommt man zu einer richtigen Würdigung der 
Wirtschaftspolitik und zu einer richtigen Handhabung und zu einem wirk- 
lichen Erfolge. 
Wenn wir uns die Gesamtheit unserer Wirtschaftspolitik in den 
letzten dreißig Jahren ansehen, wird man sagen dürfen, daß Handel, 
Industrie und Schiffahrt, abgesehen von der augenblicklichen Depression, 
einen glänzenden Aufschwung gehabt haben. Auch die Lebensverhältnisse 
der Arbeiter sind in die Höhe gegangen. Man hat mit Recht darauf 
hingewiesen, daß die Widerstandsfähigkeit unseres Arbeitsmarktes, die sich 
jetzt der uns bedrückenden Krise gegenüber gezeigt hat, ein wesentlicher 
Erfolg war der von der Regierung befolgten Wirtschaftspolitik. Es ist 
natürlich, daß man auch diejenigen Teile der Volkswirtschaft besonders 
zu berücksichtigen sucht, die nicht die vollen Vorteile der Politik haben 
mitnehmen können. Darin liegt in erster Linie die sachliche Berechtigung 
einer verständigen Mittelstandspolitik. Allerdings muß man auch hier 
wie in allen Dingen bei dieser Mittelstandspolitik Rücksicht nehmen auf 
die Bedürfnisse und die Entwickelung der übrigen großen Bestandteile 
unseres nationalen Wirtschaftslebens. Auch in meinem Ressort sind eine 
Anzahl Interessen vereinigt, die keineswegs parallel laufen, die sich viel- 
fach durchkreuzen. Daraus ergibt sich für den Minister die Verpflichtung, 
nach den großen Richtlinien der einmal eingeschlagenen Wirtschaftspolitik 
die Verschiedenartigkeit der Interessen nach Möglichkeit auszusöhnen und 
nach Recht und Billigkeit zu berücksichtigen. Das ist bisher mein Bestreben. 
gewesen und wird es auch in Zukunft sein, auf die Gefahr hin, daß, was 
ja unvermeidlich ist, dieser oder jener meiner Freunde mit mir nicht ganz 
zufrieden ist. 
Herr Malkewitz hat moniert, daß die Handwerkskammern zu wenig 
berücksichtigt worden wären bei der Zählung des Goldvorrats und daß 
lediglich das Gutachten der Handelskammern eingeholt worden wäre. Die 
gemweltkammern haben bei der Angelegenheit lediglich als Briefträger 
ungiert, sie haben selbst kein Gutachten abgegeben. Ich hielt es für richtig, 
den Handelskammern Einblick zu geben in diese wirtschaftlichen Zustände. 
Es wäre eine überflüssige Komplizierung des Verfahrens gewesen, die 
Handwerkskammern in Anspruch zu nehmen. Die freie Vereinigung des 
deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages hat sich als zweckmäßig 
erwiesen. Es werden die einzelnen Kammern gehört und nachher gelangen 
die Aeußerungen zusammenfassend an mich. Ich kann nur feststellen, daß 
ich in einer großen Anzahl von Fällen auf diese Weise zuverlässige Aus- 
kunft bekommen habe, und ich kann nicht unterlassen, dem Leiter des 
deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages ausdrücklich zu danken für 
die stets bereite Art, mich zu informieren. Dann ist die Bäckereiverord- 
nung und ihre Durchführung bemängelt worden. Schon bei der Regelung 
der Arbeitszeit war aufgefallen, daß in vielen Bäckereien Zustände be- 
standen, die unvereinbar waren mit der Gesundheit der Arbeiter. Ich 
beauftragte die Regierungspräsidenten, sich bei besonders orientierten 
Meistern und Gehilfen zu informieren. Vom Bundesrat ist dann der 
Erlaß angeregt worden. Ich habe, ehe die Verordnung erging, den Herren 
möglichst milde Handhabung der Bestimmungen für die Uebergangszeit 
sugesagt. Ich habe speziell die mit der Ausführung dieser Verordnung 
eauftragten Instanzen angewiesen, die beteiligten Kreise, die Innungen, 
auf diese Polizeiverordnung hinzuweisen und ihnen zu empfehlen, recht- 
zeitig eine Besichtigung der Betriebe durch Gewerbeaufsichtsbeamte zu be- 
antragen. Ich war bestrebt, Erleichterungen für die Uebergangszeit zu
	        
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