Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Ventsche Reich und seine eimeluen Slieder. (März 20.—22.) 107 
zugt wird. Der Generalstabschef v. Moltke ist ein durchaus vorurteils- 
freier Mann und steht ganz auf meinem Standpunkt. Ich verstehe auch 
heute nicht, daß Herr Dr. Müller nicht einfach sagt: Nachdem ich diese 
Erklärung gehört habe, bin ich gern bereit anzuerkennen, daß ich mich 
geirrt habe. (Sehr richtig! rechts.) Die Beweisführung des Herrn 
Dr. Müller erkenne ich absolut nicht an. Ob er mir das glaubt oder nicht, 
ist mir jetzt wirklich vollkommen gleichgültig. (Beifall rechts.) Im General- 
stab sind 302 Offiziere, von diesen sind 170 adelig und 132 unadelig. 
Ich betone nochmals, diese Offiziere sind nicht durch Protektion in den 
Generalstab gekommen, sondern auf Grund ihrer Tüchtigkeit. (Beifall.) 
20. März. (Hamburg.) Der große Kreuzer „Von der Tann“ 
(17000 Tonnen) wird als erster deutscher der sogenannten „In- 
vincible--Klasse“ vom Stapel gelassen. 
21. März. (Leipzig.) Der Dichter Rudolf von Gottschall 
im Alter von 85 Jahren. 
21. März. (Berlin.) Reichsfinanzreform. 
Eine von den jungliberalen Vereinen einberufene Versammlung 
faßt eine Resolution, welche die Schuld an der schmählichen Verschleppung 
der Reichsfinanzreform den Parteien vorwirft, die sich der Nachlaßsteuer 
aus dem Haupt- und Grundstück der Reform widersetzten, und die Erwar- 
tung ausspricht, daß der Kanzler und die Regierungen alle Kraft aufbieten 
werden, dieses selbstsüchtige, unpatriotische Gebaren niederzukämpfen. Pro- 
fessor Hans Delbrück, der Begründer und Führer dieser Resolution, führt 
aus, daß es ohne Steuerehrlichkeit keine Gerechtigkeit gäbe, und daß es 
die Agrarier sind, die die Errichtung eines brauchbaren Steuersystems 
hindern. Professor Adolf Wagner verwirft das Besitzkompromiß als nicht 
genügend durchdacht und steuertechnisch undurchführbar. 
22. März. Die Regierung legt dem Reichstag ein Weißbuch 
über die Seekriegskonferenz in London vor. 
Die Konferenz ist unter Beteiligung aller geladenen Mächte am 
4. Dezember 1908 in London zusammengetreten und hat, mit einer kurzen 
Unterbrechung während der Weihnachtszeit, bis zum 26. Februar 1909 
getagt. Sie hat in ihren Vollversammlungen, Kommissionen und Aus- 
schüssen gegen fünfzig Sitzungen abgehalten. Es ist der Konferenz ge- 
lungen, fast über sämtliche Programmpunkte eine Einigung zu erzielen. 
Es sind geregelt: Die Blockade in Kriegszeiten, die Kriegskonterbande, die 
neutralitätswidrige Unterstützung, die Zerstörung neutraler Prisen, der 
Flaggenwechsel im Kriegsfalle, die feindliche oder neutrale Eigenschaft des 
Schiffes und teilweise auch der Ware, das Geleit durch neutrale Kriegs- 
schiffe, der Widerstand gegen die Durchsuchung, der Schadenersatz bei un- 
gerechtfertigter Beschlagnahme. Offen geblieben sind nur zwei Fragen, 
nämlich ob für die feindliche oder neutrale Eigenschaft des Eigentümers 
der an Bord feindlicher Kauffahrteischiffe befindlichen Ware die Staats- 
angehörigkeit oder der Wohnsitz des Eigentümers maßgebend ist, und ob 
die Umwandlung von Karuffahrteischiffen in Kriegsschiffe auf hoher See 
stattfinden darf. So wichtig diese Fragen an sich sind, so vermag doch 
ihre Nichterledigung den Gesamterfolg der Konferenz nicht zu beeinträchtigen. 
Dieser Erfolg besteht darin, daß eine nahezu vollständige Kodifikation der 
Regeln über die Rechte und Pflichten der Kriegführenden in Ansehung des 
neutralen Seehandels und der neutralen Schiffahrt erreicht und dadurch 
 
	        
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