Das Vensche Reich und seine eintelnen Glieder. (März 29.) 119
sich Arbeit, um den Frieden zu erhalten, und er erhielt ihn auch. Aber
in gewisser Beziehung trugen wir die Kosten des Verfahrens. Die Un-
zufriedenheit der Streitenden richtete sich nach dem Kongreß noch mehr
gegen uns als gegen den bisherigen Gegner. Die Scherben aller ent-
täuschten Hoffnungen wurden gegen uns geschleudert. Ich habe als junger
Mensch an dem Kongreß teilgenommen. Ich stand durch meinen Vater
und seine amtlichen und freundschaftlichen Beziehungen zum Fürsten
Bismarck den Ereignissen nahe, und so erfuhr ich, daß Deutschland, das
den Frieden anderer erhalten hatte, selbst bald nach dem Kongreß in
Kriegsgefahr schwebte.
Mit dieser Erfahrung vor Augen haben wir uns die
Linie für unsere Orientpolitik vorgezeichnet. Wir wahren unsere
eigenen Interessen und stehen treu zu Oesterreich-Ungarn. Das ist, um
das auch in diesem Zusammenhange zu wiederholen, identisch. Indem
wir fest zu Oesterreich-Ungarn stehen, sichern wir am besten unsere Inter-
essen, und damit tragen wir auch am meisten bei zur Erhaltung des Friedens,
des europäischen Friedens, dessen Wahrung aufrichtig gewünscht wird von
diesem hohen Hause und vom deutschen Volke. (Lebhafter Beifall.)
Nachdem verschiedene Redner der Parteien gesprochen und
vielfach auf die langausgesponnene Debatte über die deutschen
Flottenrüstungen im englischen Parlament und in der englischen
Presse zur Vorbereitung des Tadelsantrags (s. England 29. März!)
hingewiesen hatten, ergriffen der Reichskanzler und der Staats-
sekretär des Reichsmarineamts v. Tirpitz noch das Wort über
die Flottenrüstungen:
Reichskanzler Fürst Bülow: Von verschiedenen Seiten ist die
Frage einer deutsch-englischen Verständigung über den Flotten-
bau angeregt worden. Ich habe darüber folgende Erklärung abzugeben
(der Reichskanzler verliest sie):
„Wie im Auftrage des Reichskanzlers in der Kommissionssitzung
vom 26. März erklärt worden ist, sind über die Frage einer deutsch-
englischen Verständigung, über den Umfang und die Kosten der Flotten-
programme zwischen maßgebenden englischen und deutschen Persönlichkeiten
zwar unverbindliche Gespräche geführt worden, niemals aber ist ein
englischer Vorschlag gemacht worden, der als Basis für amtliche Verhand-
lungen hätte dienen können. Die verbündeten Regierungen denken nicht
daran, mit dem Bau der deutschen Flotte in Wettbewerb mit der britischen
Seemacht zu treten. Es ist das unverrückbare Ziel der deutschen Flotten-
politik dahin festgelegt worden, daß wir unsere Flottenrüstungen lediglich
zum Schutze unserer Küsten und unseres Handels schaffen wollen. Es ist
auch eine unanfechtbare Tatsache, daß das Programm unserer Flotten-
bauten in voller Offenheit klarliegt. Wir haben nichts zu verheimlichen
und nichts zu verstecken, und es ist nicht beabsichtigt, die Durchführung
unseres Bauprogramms über die gesetzliche Frist hinaus zu beschleunigen.
(Hört, hört!) Alle dem entgegenstehenden Gerüchte sind falsch. Wir
werden frühestens im Herbst 1912 die gesetzlich bestimmten dreizehn neuen
großen Schiffe, darunter drei Panzerkreuzer, verwendungsbereit haben.
Admiral v. Tirpitz wird darüber noch eine besondere Erklärung abgeben.
Die allgemeine Stellung der verbündeten Regierungen zur Abrüstungsidee
wird von den Gesichtspunkten bestimmt, die der Reichskanzler am 30. April
1907 vor dem Zusammentreten der letzten Haager Konferenz und am