120 H#s Heutsche Reich und seine einzelnen Glicher. (März 29.)
10. Dezember 1908 im Reichstag dargelegt hat. Es ist seitdem keine
Formel bekannt geworden, die der großen Verschiedenheit der geographischen,
wirtschaftlichen, militärischen und politischen Lage der verschiedenen Völker
gerecht würde und eine geeignete Verhandlungsbasis ermöglichte. Solange
aber die brauchbare Grundlage fehlt, muß die kaiserliche Regierung an
der Annahme festhalten, daß Verhandlungen über Einschränkung des
Flottenbaues keinen wirklichen Erfolg versprächen, sei es, daß diese Ver-
handlungen zwischen zwei oder mehr Mächten geführt werden. (Sehr
richtiglf) Die verbündeten Regierungen nehmen für sich in Anspruch, daß
ihr Standpunkt in der vorliegenden Frage von Rücksichten der Humanität
und des Friedens bestimmt ist, in voller Uebereinstimmung mit der seit
Jahrzehnten bestehenden friedlichen Richtung der gesamten deutschen Politik.
(Lebhafter Beifall.) Wenn wir also auf unserm Standpunkt beharren, so
ist das keine Betätigung einer unfreundlichen Gesinnung, zumal wir dabei
von dem selbstverständlichen Rechte Gebrauch machen, über innere deutsche
Verhältnisse mit dem Auslande nicht zu diskutieren. (Lebhafter Beifall.) Die
kaiserliche Regierung wird es auch ferner als ihre Pflicht betrachten, eine
friedliebende Politik zu vertreten, die dem Argwohn keinen Raum gibt.“
(Lebhafter Beifall.)
Der Reichskanzler fährt im Anschluß an die verlesene Erklärung
fort: Ich habe das Bedürfnis, den Vertretern der bürgerlichen Parteien,
die heute das Wort ergriffen haben, meinen Dank auszusprechen für die
Unterstützung, die sie mir in den Fragen der auswärtigen Politik gewährt
haben. Die Zustimmung aller bürgerlichen Parteien ist für die verbündeten
Regierungen und für die Leitung ihrer auswärtigen Politik gerade in
einem so ernsten Augenblicke, wie es der gegenwärtige ist, besonders wert-
voll. Ich will nur auf einige wenige Punkte eingehen, die von den
Herren Vertretern der bürgerlichen Parteien berührt worden sind. In unserer
Haltung gegenüber Persien hat sich nichts geändert. Wir haben in Persien
keine politischen Ziele, sondern verfolgen dort nur wirtschaftliche Aufgaben,
deren Bedeutung ich allerdings ebensowenig unterschätze, wie Graf Kanitz.
Diese unsere wirtschaftlichen Aufgaben sind begründet worden durch den
Handelsvertrag, den wir mit Persien abgeschlossen haben. Unserm Interesse
mit Persien wird am besten gedient, wenn die Unabhängigkeit und Inte-
grität von Persien und die Freiheit des Handels aufrechterhalten bleibt.
Das englisch-russische Abkommen greift in beide nicht ein. Ueberdies sind
uns bis in die letzte Zeit aus Petersburg und aus London spontane Zu-
sicherungen in derselben Richtung zugegangen. Wir hatten also keine
Veranlassung, gegen das englisch-russische Abkommen Stellung zu nehmen;
es entspricht vielmehr den allgemeinen Gesichtspunkten unserer Politik
gegenüber Persien, daß wir uns in die dortigen innern politischen Fragen
nicht einmischen. Wenn Rußland und England diesen Fragen ein be-
sonderes Interesse zuwenden, so verkennen wir nicht, daß beide Mächte
infolge der territorialen Verhältnisse an der Aufrechterhaltung von Ruhe
und Ordnung in Persien in erster Linie interessiert sind. Wir haben also
— und damit resümiere ich mich — keine Veranlassung, aus der Zurück-
haltung hervorzutreten, die wir gegenüber den Vorgängen in Persien bis-
her eingenommen haben. Von mehreren Seiten ist dann in einzelnen
Punkten an unserer Marokkopolitik Kritik geübt worden. Nachdem es
einmal Streit gegeben hat, würde ich die Rechtfertigung unseres Verhaltens,
die an und für sich vielleicht nicht so schwierig wäre, nicht durchführen
können, ohne für die andere Seite vielleicht nicht gerade Angenehmes
hervorzuheben. Den alten Zank aber wieder aufzurühren, würde für den
ruhigen Gang unserer Politik nicht förderlich sein. (Lebhafter Beifall.)