Das Deche Reich und seine einzelnen Slieder. (März 29.) 121
Wenn wir die guten Beziehungen zu Frankreich pflegen wollen — und
das wollen wir ja doch auf allen Seiten dieses hohen Hauses (Sehr
richtig!)) —, dann müssen wir vor allen Dingen die Rücksicht gelten lassen,
die beide Regierungen, beide Völker nach einer schwierigen diplomatischen
Auseinandersetzung aufeinander nehmen. Ich will deshalb nicht auf die
einzelnen Punkte eingehen, die einer Kritik unterworfen worden sind.
Nur das eine will ich sagen: es ist der Besuch Seiner Majestät des
Kaisers in Tanger erwähnt worden. Das war ein wohlerwogener
Schritt in dem Rahmen unserer damaligen politischen Aktion. Ich habe
nichts von dem zurückzunehmen, was ich darüber, wenn ich nicht irre, im
November oder Dezember 1905 vor diesem hohen Hause gesagt habe, näm-
lich, daß ich diesen Besuch anempfohlen habe, und daß ich diesen Besuch
mit meiner vollen politischen Verantwortlichkeit decke. Nun ist hier auch von
einer Inkonsequenz unserer Marokkopolitik gesprochen worden. In der
Politik ist nichts von ewiger Dauer. Das Ziel: die Wohlfahrt, die Größe,
die Macht des Vaterlandes — das bleibt dasselbe. Das muß mit starrer
Konsequenz im Auge behalten werden, aber die Mittel und Wege wechseln,
je nach der Opportunität. Jeder Politiker muß dem Rechnung tragen,
sonst ist er eben kein Politiker. (Eine einzelne Stimme rechts: Sehr
wahr! Große Heiterkeit.) Das kommt dem Sinne nach ungefähr auf
dasselbe hinaus, was der Urheber dieses Zwischenrufes, den wir soeben
gehört haben, wahrscheinlich andeuten wollte. Ein verewigtes, sehr geist-
volles Mitglied dieses gpauces. der Abgeordnete Ludwig Bamberger, der
mir sehr wohlwollend gesinnt war (Heiterkeit), sagte mir einmal auf einem
Spaziergang, den wir zusammen im Tiergarten machten: Ich glaube
— sagte er —, das Geheimnis der auswärtigen Politik beruht eigentlich
in einer gewissen kühnen Inkonsequenz. Die auswärtige Politik kann eben
nicht nach einem von vornherein in allen einzelnen Punkten festgelegten
Programme geführt werden, sondern sie ist die Kunst, mit den gegebenen
Faktoren zu rechnen, und vor allem muß sie sich halten innerhalb des
ordo rerum agibilium, was schon vom heiligen Thomas von Aaquino ge-
sagt worden ist. (Große Heiterkeit.) Es ist dann das Telegramm er-
wähnt worden, das Seine Majestät der Kaiser — es war wohl im
Januar 1896 — an den Präsidenten Krüger gerichtet hat. Es ist
gefragt worden, ob dieses Telegramm ein Akt persönlicher Initiative oder
ein Staatsakt gewesen sei. In dieser Beziehung kann ich Sie auf Ihre
eigenen Verhandlungen verweisen. Sie werden sich erinnern, daß die Ver-
antwortung für dieses Telegramm von dem damaligen Leiter unserer
politischen Geschäfte niemals abgelehnt worden ist. Das Telegramm war
ein Staatsakt, hervorgegangen aus amtlichen Beratungen. Es war in
keiner Weise ein Akt persönlicher Initiative Seiner Majestät des Kaisers.
Wer das behauptet, der kennt die Vorgänge nicht und tut Seiner Majestät
dem Kaiser vollkommen unrecht.
Ich komme nun zu den Ausführungen des Abgeordneten Lede-
bour. (Heiterkeit.) Ich bin dem Abgeordneten Ledebour sehr dankbar
dafür, daß er es so schmerzlich empfindet, daß ich nicht an allen Be-
ratungen dieses hohen Hauses teilnehmen kann und daß er sehr froh ist,
wenn er mich hier wiedersieht. (Große Heiterkeit.) Im übrigen empfand
ich während seiner Ausführungen vor allem ein Gefühl, nämlich das Ge-
fühl der Sehnsucht nach dem Abgeordneten Bebel. (Große Heiterkeit und
Sehr gut!) Eine tiefe Kluft trennt die Weltanschauung des Herrn Bebel
von meiner Weltanschaung, es besteht zwischen dem Abgeordneten Bebel
und mir auf allen Gebieten der denkbar schärfste Gegensatz, aber das
muß ich doch sagen, der Abgeordnete Bebel machte die Sache wirklich