Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

124 Jas Veutsche Reich und seine eintelnen Glieder. (März 30.) 
Er sagt unter anderem: Es wirft sich zunächst die Frage auf: Wie 
soll die Finanzreform erledigt werden? Von welchen Parteien? Die Er- 
eignisse der jüngsten Tage haben diese Frage in den Vordergrund geschoben, 
welche Parteigruppierung die Finanzreform erledigen wird. Das nächst- 
liegende ist, daß die Finanzreform von dem sogenannten Block gelöst wird. 
Das ist bedingt durch die allgemeine politische Lage wie sie in Deutschland 
besteht und als solche auch anerkannt ist durch das Zentrum seit der Reichs- 
tagsauflösung und den Neuwahlen. Wir haben in der hinter uns liegenden 
Periodc eine Reihe von Aufgaben erledigt, die ausdrücklich als Aufgaben 
der Blockparteien vom Reichskanzler bezeichnet worden sind, z. B. das 
Vereins- und das Börsengesetz. Die Bedeutung der Finanzreform geht 
weit hinaus über diese Fragen, von denen ich soeben sprach; sie geht auch 
weit hinaus über die Streitigkeiten beim Kolonialetat, die damals zur 
Auflösung führten. (Heiterkeit und Sehr richtig! links.) Den Willen, die 
Finanzreform möglichst durch die Blockparteien zu lösen, hat man versucht, 
in die Tat umzusetzen. Das lbeweisen die Blockkonferenzen und die An- 
nahme des Kompromisses Gamp. Wenn der Block nicht in der Loage ist, 
die Finanzreform zu erledigen, so wird und muß die Führung in der 
Finanzfrage an das Zentrum übergehen, und es ist mir ebenso unzweifel- 
haft, daß damit ein Wendepunkt in unserer innern Politik eintritt. Es 
ist die Frage ventiliert worden, ob heute schon die Finanzreform als Block- 
aufgabe gescheitert ist. Die Frage ist ausgeworfen worden durch die Stel- 
lungnahme der konservativen Partei und durch die bekannte Notiz in der 
„Konservativen Korrespondenz“, in der sogar von einer Vorherrschaft der 
Freisinnigen gesprochen wird. (Lachen bei den Liberalen.) Ich erachte die 
Erklärung der Konservativen als eine durchaus notwendige und erkenne 
meinerseits ohne weiteres an, daß diese offene Erklärung ein Akt der 
Loyalität war. Sie mußte in diesem Moment erfolgen, weil am Freitag 
die Abstimmung über die Liebesgaben erfolgte. Wir haben bei dieser Ab- 
stimmung eine neue Gruppierung kennen gelernt. Wenn die Erklärung 
vorher nicht erfolgt wäre, so wäre die konservative Fraktion mit Recht in 
den Verdacht der Felonie am Block gekommen. (Reichskanzler Fürst Bülow 
erscheint im Saale.) 
An die Erledigung des Blocks haben Phantasten kühne Hoff- 
nungen auf einen neuen Block ausgebaut, „von Bebel bis Bassermann“. 
(Heiterkeit.) Herr Bebel wird höchst erstaunt und belustigt gewesen sein, 
daß er nunmehr, an Stelle der Konservativen, 400 Millionen Konsum- 
steuern bewilligen soll. (Heiterkeit.) Ich glaube daran nicht. Die Sozial- 
demokratie hat sogar Herrn Barth und Herrn v. Gerlach verlacht, und ich 
kann sie mir nicht denken Arm in Arm mit uns Nationalliberalen und 
mit Mitgliedern der freisinnigen Parteien wie Dr. Mugdan eins ist. (Heiter- 
keit und Zustimmung bei den Liberalen und Sozialdemokraten.) Wenn 
der Block einmal vergeht, dann muß der Liberalismus auf eigenen Füßen 
stehen (Lebhafte Zustimmung der liberalen Parteien), auf beiden Füßen, 
und er hat ja glücklicherweise zwei: einen rechten und einen linken. (Heitere 
Zustimmung links.) Herr Naumann, der im Berliner Tageblatt diesen 
Artikel geschrieben hat, möge seinen Blick zurückwenden auf die Reichstags- 
wahlen, die hinter uns liegen, und auf die Tatsache, daß in diesen Reichs- 
tagswahlen ein ganz hervorragender Unwille des deutschen Bürgertums 
gegen die Sozialdemokratie zutage getreten ist. In einer uns unerwarteten 
Weise haben sie zu einer großen Niederlage der Sozialdemokratie geführt. 
Also an ein Bündnis zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie, das 
nur todbringend sein würde, glaube ich nicht. (Stürmische Zustimmung der 
liberalen Parteien.)
	        
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