136 JHas Netsche Reich und seine einnelnen Slieder. (April 20.)
die Parteien, sich mit dem Gedanken der nationalen Notwendigkeit dieser
Reform noch mehr als bisher zu erfüllen und sich von der Einsicht in
diese harte Notwendigkeit hinwegtragen zu lassen über Zögerungen, Be-
denken und Differenzen. Ich sehe aber auch in Ihrer Kundgebung wie
in den zahllosen Kundgebungen der letzten Wochen eine Reaktion des
Volkswillens gegen die Versuche, den Bedürfnissen des Reiches und der
Volksgesamtheit das Interesse bestimmter Erwerbszweige — ich denke vor
allem an den Tabakverein — entgegenzusetzen, Versuchen, die zum Teil
mit einem an Terrorismus grenzenden Druck geltend gemacht worden sind,
und gegen welche, wie ich sehe, die von den Herren aus Bayern überreichte
Adresse mit gebotener Entschiedenheit Stellung nimmt. Wir haben ja von
allen Seiten gehört, wie die Vertreter dieser Interessen die Oeffentlichkeit
mit ihrem Widerspruch erfüllen und immer wieder verlangen, daß man
sie, gerade sie, unter allen Umständen schonen solle, wo doch Ansprüche an
die Opferwilligkeit des ganzen Bolkes gestellt werden müssen. Es bereitet
mir eine wahre Genugtuung zu sehen, wie sich das öffentliche Gewissen
dem Einreißen solcher Unsitten entgegenstemmt, und ich fühle mich dadurch
bestärkt in meinem Vertrauen in den guten Geist des deutschen Volkes, der
auch diesmal, in dieser die Zukunft unseres Volkes so tief angehenden
Frage, nicht vergeblich angerufen werden wird. Auch ich bin mit den
Herren aus Sachsen der festen Ueberzeugung, daß unser Volk aus der
Misere der Vergangenheit gelernt hat, daß es die Kraft des Reiches, nicht
wie in jenen alten Zeiten gelähmt wissen will durch die finanzielle Ohn-
macht, die die Ohnmacht aller staatlichen Betätigung bedeutet. Ein Volk,
das, wie das unfrige, an Schaffenskraft und Schaffenslust sich von keinem
andern übertreffen läßt, kann auch vor schweren Opfern nicht zurückschrecken,
wenn es gilt, sich die Schaffensmöglichkeit zu sichern durch eine finanziell
gesicherte Reichsgewalt. Mit Recht drängen Sie, meine Herren, auf eine
rasche und gründliche Erledigung der Reichsfinanzreform. Es ist der ein-
mütige Wille der verbündeten Regierungen, die Lösung der Frage noch in
dieser Session des Parlaments herbeizuführen. Der Reichstag wird nicht
auseinandergehen, bevor er endgültig zur Reichsfinanzreform Stellung
genommen hat. » ·
Wie soll die Reform sich im einzelnen gestalten? Die Herren aus
Thüringen halten, wie ihre Adresse betont, nach wie vor die Vorschläge
der verbündeten Regierungen für eine im großen und ganzen geeignete
Grundlage zur Verständigung. Auch ich, meine Herren, habe mich von
dieser Zuversicht nicht abbringen lassen und bin gerade durch den Gang
der Erörterungen im Reichstage und in der breiten Oeffentlichkeit mehr
und mehr darin bestärkt worden. Gewiß werden die verbündeten Re-
ierungen sich nicht auf jedes Stück ihrer Vorlagen versteifen. Nachdem
ch leider ergeben hat, daß für die Besteuerung von Gas, Elektrizität und
Inseraten keine Mehrheit zu erlangen ist, werden die verbündeten Re-
gierungen diese Vorlagen fallen lassen müssen. Für die Lücke muß Ersatz
geschaffen werden. Ich bin zwar heute noch nicht in der Lage, hierüber
bestimmte Mitteilungen zu machen, ich habe aber dahin gewirkt, daß sich
die verbündeten Regierungen in den allernächsten Tagen endgültig über
die Stellung schlüssig machen, die sie zur Frage der Ersatzstener für die
zweite Lesung im Reichstage einnehmen wollen. .
An den leitenden Gedanken und an den Hauptstücken des großen
Werkes halten die verbündeten Regierungen fest. Man hat in den letzten
Wochen vielfach gehört, eine Hauptfrage der Finanzreform bilde das Problem,
die Linke in Sachen der Branntweinbesteuerung und die Rechte in Sachen
der Erbschaftsabgabe umzustimmen. Gewiß war es ein Fehler, den Vor-