138 as Venische Reich und seine einfelnen Glieder. (April 20.)
Was in den verschiedensten Ländern der Welt, was in den Hansestädten,
in Elsaß-Lothringen, in den deutschen Kantonen der Schweiz, in Oester-
reich-Ungarn, in England und in Frankreich in jahrzehntelanger Uebung
zu keinem Mißstande und keiner Erschütterung des Familiensinnes geführt
hat, das wird auch in Deutschland, wenn sich die Wogen gelegt haben, als
eine erträgliche Steuer angesehen werden, und spätere Generationen werden
die Erregung unserer Tage in dieser Hinsicht kaum noch begreifen können.
Aber mit der Branntwein= und der Erbschaftssteuerfrage ist es nicht
etan. Daß das Bier uns 100 Millionen mehr eintragen muß, darüber
ist man sich allgemein einig, und was den Tabak betrifft, so wird es trotz
aller Agitation dabei bleiben, daß alles, was der Tabakverein in diesem
Falle gefehlt hat, wieder gut gemacht werden muß durch einen Gesetz-
entwurf, der dem sozialen Charakter der Steuervorlagen Rechnung trägt,
den wohlhabenden Raucher mehr belastet als den unbemittelten und der
Staatskasse einen Ertrag von 75 bis 80 Millionen mit Sicherheit zuführt.
Ich brauche es kaum auszusprechen, daß ich auch mit Ihrem Ver-
langen bezüglich der reinlichen Scheidung zwischen Reichs- und Bundes-
staatsfinanzen durchaus übereinstimme. Die Geschichte der Matrikular-
beiträge ist eins der lehrreichsten Kapitel unserer Finanzen. Was als Not-
behelf und Uebergangsmaßnahme geschaffen war, hat sich im Laufe der
Jahre zu einer ständigen und immer komplizierteren Einrichtung entwickelt.
Dabei haben weder das Reich, noch die Bundesstaaten ihre Rechnung ge-
funden. Die ganze jetzige Situation legt aufs beredteste Zeugnis dafür
ab, daß die beiden hervorragendsten Persönlichkeiten, die sich mit den
Reichsfinanzen beschäftigt haben, Bismarck und Migquel, vollkommen recht
hatten, wenn sie das Reich nicht dauernd zum Kostgänger der Bundes-
staaten werden lassen wollten. An den Formen der Matrikularabgaben,
an dem unbeständigen Element, das in der Einnahmebewilligung durch die
Reichsstände lag, an dem Mangel eigener ausreichender Einnahmen ist
das alte heilige Römische Reich siech und morsch geworden und zugrunde
gegangen. Die große Aufgabe, die Migquel sich gestellt hatte, war, in
Preußen eine reinliche Scheidung zwischen den Finanzen der verschiedenen
öffentlichen Körperschaften durchzuführen und dafür zu sorgen, daß sie
alle in zweckmäßiger Weise ausreichende eigene Einnahmen erhielten. Die
Entwickelung geht nunmehr in der Richtung einer Scheidung der Ein-
nahmequellen des Reichs von denen der Einzelstaaten, nicht in wechsel-
seitigem Uebereinander- und Ineinandergreifen.
Das sogenannte Besitzsteuerkompromiß ist von Anfang an nichts
als ein Hilfsmittel oder eine Hilfskonstruktion, eine Notbrücke, gewesen.
Die Oeffentlichkeit ist sich rasch und einmütig der Gefahren bewußt ge-
worden, die aus seiner praktischen Durchführung für das ganze Gefüge
unseres Finanzgebäudes erwachsen würden. Das spricht mit besonderm
Nachdruck auch die Adresse der Herren aus Thüringen aus. Wenn Sie
die Unterstützung der verbündeten Regierungen und des Reichstags für
eine Beseitigung dieses Kompromisses verlangen, so ist dieser Teil Ihrer
Mission erfüllt. Die verbündeten Regierungen werden die Einzelstaaten
nur bis zur Grenze von 50 Millionen Mark, d. h. mit 25 Millionen Mark
mehr als bisher, in der Gestalt der Matrikularbeiträge an dem Gesamt-
bedarf beteiligen. Ich erwarte also, um kurz zusammenzufassen, von der
Finanzreform das Folgende: Sie soll aufbringen 500 Millionen Mark,
sie soll diese Summe, abgesehen von 25 Millionen Mark neuer Matrikular-
beiträge, aufbringen in der Form reichseigener Einnahmen und zwar,
wenn die Fahrkartensteuer in verbesserter Form bestehen bleibt, mit 350
bis 360 Millionen Mark vom Konsum und mit 90 bis 100 Millionen