Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

150 Das Penisqhe Reich und seine eintelnen Glieder. (April 27.) 
Nichtbestätigung des Herrn Quarck in Frankfurt nicht um etwas Neues, 
sondern um die jahrzehntelange Praxis. 
27. April. (Preußisches Herrenhaus.) Finanzminister 
v. Rheinbaben gibt über die Beamtenversammlung vom 18. April 
die folgende Erklärung der Regierung ab: 
Am Sonntag vor acht Tagen hat in Berlin eine große Bersamm- 
lung von Beamten stattgefunden, die sich mit der Besoldungsordnung und 
dem Verhalten der Regierung, des Abgeordnetenhauses und des Herren- 
hauses gegenüber der Besoldungsvorlage beschäftigt hat. Ich glaube, wir 
werden alle darin übereinstimmen, daß dem Beamten das Recht nicht be- 
schränkt werden soll, seine Interessen zu vertreten, und daß wir auch ein 
freies Wort der Kritik gern gestatten wollen. Aber die Form, wie dort 
an der Vorlage der Staatsregierung und an dem Verhalten des Abgeord- 
netenhauses und Herrenhauses Kritik geübt ist, muß als durchaus ungehörig 
und unzulässig bezeichnet werden. (Sehr richtig! und lebhafter Beifall.) 
Ich muß es ablehnen, alle die unrichtigen Behauptungen, die in jener 
Versammlung aufgestellt sind, hier im einzelnen richtig zu stellen, nur eins 
möchte ich hier berühren. Es ist in jener Versammlung behauptet worden, 
ich sei der Erfinder der Idee, die Reichsfinanzreform mit der Besoldungs- 
ordnung zu verknüpfen. Ich bin keineswegs der Erfinder dieser Idee. 
Anderseits liegt es aber doch auf der Hand, daß wir im Reich eine Reform 
der Besoldung mit einer Ausgabe von 100 Millionen nicht machen können, 
ohne für Deckung zu sorgen, denn daß die Besoldung aus Anleihen zu 
decken sei, ist doch eine Theorie, die bei allem Wohlwollen für die Beamten 
doch nicht akzeptiert ist. (Lebhaftes Sehr richtig |) Mit welchen Mitteln 
man versucht hat, die Erregung zu schüren, dafür einige Daten. Beispiels- 
weise wurde behauptet, die Staatsregierung, insbesondere ich, hätten das 
Abgeordnetenhaus vor höhern Bewilligungen dadurch zu schrecken gesucht, 
daß ich mit einer sehr großen Erhöhung der Einkommensteuer gedroht hätte. 
Es handelt sich nicht um eine Erhöhung von 5 bis 7 Prozent, 
sondern um eine solche von 25 Prozent. Vollkommen unzutreffend ist 
auch die Behauptung, die Gehälter der Beamten sollten nur um 7 Prozent 
erhöht werden. Wie kann man eine solche Behauptung aufstellen angesichts 
der Tatsache, daß die Gehälter der obern Beamten um 7 Prozent, die der 
mittlern um 15 Prozent und die der untern um 20 Prozent erhöht sind! 
Dazu kommt noch der Mehraufwand für die Wohnungsgeldzuschüsse mit 
nicht weniger als 23 Millionen. Alle solche Behauptungen prallen also 
glatt ab an unserm guten Gewissen. Wir haben unser Wohlwollen für 
die Beamten nicht nur mit Worten, sondern mit Taten bekannt. Ich darf 
darauf hinweisen, daß, wenn wir die Gehaltsaufbesserung von 1906—07 
zu den jetzigen hinzuzählen, wir für die Aufbesserung der Beamten, Lehrer 
und Geistlichen nicht weniger als rund 200 Millionen aufgewendet haben. 
(Lebhaftes Hört, hört!) An dauernden Ausgaben haben wir von 1906 
bis jetzt die Kleinigkeit von 150 Millionen. Naturgemäß können wir die 
enormen Aufwendungen nicht aus laufenden Mitteln decken. Die Erhöhung 
der Einkommensteuer beweist, daß die breiten Kreise unserer Bevölkerung 
dazu beitragen müssen, um diese an sich gerechtfertigte Aufbesserung den 
Beamten zuteil werden zu lassen, und da wir den großen Betrag nicht 
durch Erhöhung der Einkommensteuer decken konnten, werden wir in unserer 
ganzen Staatswirtschaft die Rückwirkungen dieser erheblichen Aufbesserungen 
zu spüren haben. Wir werden durch magere Jahre hindurchgehen müssen, 
wir werden uns auf den verschiedenen Gebieten einschränken müssen, um
	        
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