154 JNas Veische Reich und seine einbeluen Glieder. (April 28.)
die Mehrheit sich für eine Besprechung entschied, so blieben sie im Saale,
ohne sich an der Aussprache zu beteiligen. Hierauf begründete der Ab-
geordnete Rösicke den Antrag Dietrich und Genossen über die Reichswert-
zuwachssteuer. Der Staatssekretär sprach sich in längerer Ausführung
gegen den Antrag aus. Nach ihm ergriff Finanzminister v. Rheinbaben
und schließlich Reichsbankpräsident Havenstein das Wort. Die Rede des
zweiten Redners war außerordentlich eindrucksvoll und präzise. Er be-
wegte sich in rein sachlicher Weise, führte alle Gründe an, die nach seiner
Meinung gegen die Wertzuwachssteuer sprächen und betonte insbesondere,
daß eine Wertzuwachssteuer, die sich auf die Besteuerung von Wert= oder
Dividendenpapieren beziehe, unmöglich sei. Für die Wirtschaftliche Ver-
einigung sprach der Abgeordnete Raab und für die Reichspartei der Ab-
geordnete Frhr. v. Gamp. Beide stehen der Wertzuwachssteuer sympathisch
gegenüber. Freisinnige, Nationalliberale und Polen äußerten sich zur
Sache nicht. Zum Schluß kam die Ueberraschung! Der Abgeordnete Spahn
erklärte im Namen des Zentrums, daß seine Fraktion einstimmig beschlossen
habe, auf den Boden des Antrags Dietrich und Genossen zu treten und
dadurch die Erbschafts-- bezw. Nachlaßsteuer überflüssig zu machen.
28. April. (Reichstag.) Der Gesetzentwurf über die Siche-
rung der Bauforderungen der Bauhandwerker wird in zweiter Lesung
angenommen.
Danach soll den Baugläubigern, wenn keine Sicherheit geleistet wird,
eine Hypothek gewährt werden, welcher andere Rechte nur bis zur Höhe
des Baustellenwerts und der zur Befriedigung von Baugläubigern ver-
wendeten Baugelder vorgehen können.
W. April. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) In der
Budgetkommission kommt es zu einer Besprechung über die von
der Regierung neuerdings geförderten Studienanstalten zur Reform
des höheren Mädchenschulwesens.
Der Berichterstatter fragte, was aus den bisherigen Mädchenschulen
werden solle, die nicht die neue Form der zehnklassigen annähmen, und
ob nicht durch die Teilung der Ressorts Provinzialschulkollegien und
Regierung Schwierigkeiten entstehen würden. Aus der Mitte der Kommission
wurde betont, daß die neue Ordnung, insbesondere die Errichtung neuer
Studienanstalten, die Gefahr nahe bringe, daß ein weibliches wissenschaft-
liches Proletariat entstehe. Es würde daher falsch sein, auf die Errichtung
von Studienanstalten besonders hinzuwirken. Gegen die geplanten Frauen-
schulen würden zweifellos in den nächsten Jahren größere Angriffe gerichtet
werden. Das sei unvermeidlich. Es handle sich um eine Sache, die erst
noch der Bewährung bedürfe. Was die Lehrpläne angehe, so müsse auch
beim fremdsprachlichen Unterricht weniger Wert auf die grammatische Aus-
bildung, als auf die Konversation gelegt werden. Die Direktiven über
das mathematische Lehrpensum schienen zu allgemein gehalten zu sein und
zu weit zu gehen. Sehr einverstanden sei er, daß der Religionsunterricht
und der deutsche Unterricht im Mittelpunkt des gesamten Unterrichts stehen
würden. Den so reformierten Schulen sei ein möglichst weiter Kreis von
Berechtigungen gewähren. Die Bestimmungen über die Verhältniszahl
der männlichen Sehrräfte seien nicht zu rigoros festzuhalten. Den Privat-
schulen, die weifellos durch die Reform zum Teil in große Schwierigkeiten
geraten würden, müßte möglichstes Entgegenkommen gezeigt werden, und
endlich erscheine es wünschenswert, daß die Direktoren nicht mit zu viel