Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

158 He Veutsche Reich und seine rinteinen Slieder. (April Ende.) 
von fünf Prozent kann man nicht reden. Der Niedergang ist in schweren 
Zeiten sehr bedeutend; der finanzielle Effekt fällt dadurch erheblich. Die 
Schwankungen der Rentenpapiere bewegen sich in Zahlen von höchstens 
15 Prozent. Die Industriepapiere schwanken weit mehr. Rentenpapiere 
sind wesentlich Anlagen des Privatkapitals, das Sie damit treffen. Die 
Einführung der Wertzuwachssteued würde unerträgliche Belästigungen zur 
Folge haben und folgenschwere Konsequenzen. Sie würde einmal not- 
wendige Geschäfte verhindern, das wäre ein großer volkswirtschaftlicher 
Fehler. Sie würde den Börsenverkehr und das internationale Kapital 
aus Deutschland heraustreiben, denn die im Auslande befindlichen Papiere 
entgehen jeder Steuer. Die Folge des Hinausdrängens des Kapitals wäre 
eine Schädigung unseres Staatskredits. Die Ausführung des Antrags, 
wenn er überhaupt durchführbar wäre, würde Maßnahmen nötig machen, 
die den Verkehr völlig lahmlegen. Sie wäre nur möglich mit äußerst 
scharfen Kontrollen, wenn nicht fortwährend Hinterziehungen stattfinden 
sollen. Der vorgeschlagene Weg für die Kontrolle ist ungangbar. Eine 
Berstempelung setzt voraus, daß alle verkauften Papiere zur Verstempelung 
auf die Börse gebracht werden. Man braucht den Gedanken nur aus- 
zusprechen, um die Undurchführbarkeit zu erkennen. Was wird mit den 
Papieren, die an Orten ohne Börse gehandelt werden? Die vorgeschlagene 
Allonge ist gleichfalls undurchführbar. Ueber Millionen von Werten einen 
Schlußschein auszustellen, genügt nicht; jedes Stück muß kontrolliert werden. 
Bei den neuen 800 Millionen-Anleihen ist berechnet worden, daß zehn 
Angestellte fünf Wochen zu arbeiten haben würden, bevor die Stücke dem 
Verkehr übergeben werden könnten. Außerdem würden die Stücke so um- 
fangreich sein, daß Stadtviertel angekauft werden müßten, um sie auf- 
zubewahren. Die Kontrolle ist undurchführbar, solange noch jeder Kauf- 
mann seinen Schlußschein ausstellen kann. Jedes Zehntel pro Mille macht 
sicher viele Geschäfte einfach unmöglich. Eine Verdoppelung des Stempels 
bedingt noch lange keine Verdoppelung des Steuerertrages. Der Verkehr 
ist außerordentlich empfindsam; wo die Grenze liegt, bis zu der man 
gehen kann, läßt sich nicht sagen. Alle Börsennovellen haben die Mög- 
lichkeiten der Belastung geprüft. Die Grenze dürfte erreicht sein; ich 
warne vor einer Erhöhung des Stempels. Ein Rückgang der Geschäfte 
wäre wahrscheinlich, und die Folge würde nicht nur ein Minderertrag 
der Börsensteuer sein, sondern auch der Einkommensteuer usw. Betreten 
Sie nicht diesen Weg! 
Ende April. Zur Frage der Steuerveranlagung. 
Die Verhandlungen über die Reichsfinanzreform haben den Anstoß 
gegeben zur Aufdeckung beträchtlicher Mängel in der Veranlagung der Ein- 
kommensteuer, und fortwährend gehen durch die Blätter Erörterungen über 
diesen Gegenstand und darüber, ob auf dem Lande oder in der Stadt 
mehr hinterzogen wird. Daß zu wenig bezahlt wird, darüber herrscht 
nirgends mehr ein Zweifel. Eingehend wird das Thema behandelt in 
einem Artikel des Oberverwaltungsgerichtsrats Mrozek: Die Mängel der 
Veranlagung zur Einkommensteuer und Vorschläge zu ihrer Beseitigung, 
der im Maiheft der „Preußischen Jahrbücher“ erschienen ist. Die Frage, 
ob Stadt oder Land stärker an den Unterveranlagungen beteiligt ist, wird 
von Mrozek, der früher selbst in Steuerangelegenheiten tätig war, nicht 
erörtert, aber er bringt eine Reihe bemerkenswerter Vorschläge zur Besserung 
der bestehenden Uebelstände. Besonders hält er auch an dem Punkt fest, 
daß der Landrat als politischer Beamter nicht geeignet sei, den Vorsitz der 
Einschätzungskommission zu führen. U. a. stellt der Verfasser auch folgenden
	        
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