Das Detsche Reich und seine einjelnen Glieder. (Mai 29.) 187
Aufnahme prinzipiellen Widerspruch, es solle hier ein Zwang auf den
Bundesrat ausgeübt werden. Die Vertreter des preußischen Handels- und
des Landwirtschaftsministeriums erklärten, die Folge würde ein weiteres
Steigen des Mehlpreises und der Uebergang der Mehlproduktion an das
Ausland sein. Der Vertreter der sächsischen Regierung charakterisierte
die Steuer als eine direkte, die den Einzelstaaten vorbehalten bleiben.
müsse. Die Abgg. Gröber (Zir.) und Raab (Wirtsch. Vgg.) sahen hierin
nichts Bedenkliches. Könne der Bundesrat nicht zustimmen, so möge er
dem Reichstag die Verantwortung überlassen. Nachdem Sydow dem ent-
gegengetreten, wurde der § 1, der die Erhebung einer Mühlenumsatzsteuer
anordnet, gegen die Stimmen der Reichspartei angenommen, ebenso 892
trotz des Hinweises eines Regierungsvertreters, daß dieser Paragraph die
Mehlausfuhr unmöglich machen würde. Der Rest des Gesetzes wurde
gleichfalls unverändert angenommen.
Nach der Mühlenumsatzsteuer beriet die Rumpfkommission den
Kohlenausfuhrzoll. Ein Vertreter des Reichsamts des Innern machte
vertraulich erhebliche Bedenken handelspolitischer Natur geltend, ebenso
sprach der preußische Oberberghauptmann v. Velsen und ein anderer Ver-
treter der preußischen Bergverwaltung. Die erwartete Summe von 26 Mil-
lionen werde unmöglich erzielt werden, die Kohlenindustrie würde die
Steuer nicht tragen, sondern sie auf die konsumierenden Industrien, und
zwar auf die Schwächern unter diesen abwälzen. Der Antrag wurde sodann
egen die Stimmen der Reichspartei und Polen mit den Stimmen der
ronservativen, des Zentrums und der Wirtschaftlichen Vereinigung an-
genommen; der auch hierzu vorliegende Antrag Gamp, den Beschluß in
Form eines Gesetzentwurfs an das Plenum zu bringen, abgelehnt.
Zur Verhandlung stand nunmehr das Finanzgesetz. Hierzu lag
vom Abg. Müller-Fulda (Ztr.) ein Antrag vor, der die Schulden-
tilgungsbestimmung des Finanzgesetzes von 1906 aufheben und die Rein-
einnahme aus der Branntweinverbrauchsabgabe den einzelnen Bundesstaaten
nach dem Maßstab der Bevölkerung überweisen will, mit der sie zu den
Matrikularbeiträgen herangezogen werden. Weiter beantragt Müller-Fulda,
daß, soweit die Einnahmen aus der Besteuerung der Wertpapiere und aus
der Umsatz- und Wertzuwachssteuer in den Rechnungsjahren 1910 bis 1914
den Betrag von 100 Millionen Mark jährlich übersteigen, solche zur Til-
gung der aus den Rechnungsjahren 1906 bis 1908 herrührenden Matri-
kularbeiträge, deren Erhebung ausgesetzt ist — der bekannten gestundeten
Matrikularbeiträge — zu verwenden sind. Die Zahlung dieser Matrikular-
beiträge soll bis zum 1. April 1914 ausgesetzt werden. Schatzsekretär
Sydow hält den vorgeschlagenen Weg nicht für geeignet. Die Stundung
der Matrikularbeiträge sei eine sehr bedenkliche Bestimmung unseres gel-
tenden Finanzgesetzes. Die „Bindung“ müsse geschaffen werden als be-
deutsamste Kautele für die Gestaltung der einzelstaatlichen Finanzen. Sie
führe auch zur Sparsamkeit bei Aufstellung des Etats des Reiches.
Pr. Finanzminister Frhr. v. Rheinbaben: Die Interessen des
Reiches und der Einzelstaaten deckten sich in diesem Falle durchaus. Die
Finanzen der Einzelstaaten befänden sich in einer ungünstigen Entwickelung,
die eine erhebliche Erhöhung der direkten Steuern zur Folge haben müsse
und schon gehabt habe. Für. Preußen komme die ungünstige Gestaltung
der Erträge der Eisenbahnen besonders in Betracht. Man habe da mit
einem dauernden Defizit zu rechnen. In andern kleinen Staaten seien die
Berhältnisse vielfach noch bei weitem ungünstiger. Die Einzelstaaten
müßten daher gegen nbermäßige Eingriffe des Reichs geschützt werden. Die
Bindung der Matrikularbeiträge sei daher durchaus notwendig. Sie gebe