Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

190 HNas NVeische Reich uad seine eintelnen Slieder. (Mai 29. 31.) 
gebieten belegenen Grundstückes oder Erwerb eines Rechtes, für das die 
auf Grundstücke bezüglichen Vorschriften gelten (Erbbaurechtes, Bergwerks- 
eigentums), unterliegt einer an das Reich zu entrichtenden Steuer von 
½ vom Hundert des Wertes des erworbenen Grundstückes oder Rechtes. 
Der Eigentumsübergang im Enteignungs-- und Zwangstversteigerungs- 
verfahren, nicht aber der unmittelbar auf Erbfolge beruhende Eigentums- 
wechsel, unterliegt der Besteuerung. 
Für die Wertzuwachssteuer wird bestimmt: läßt sich der Erwerbs- 
preis nicht ermitteln, so tritt an seine Stelle der gemeine Wert zur Zeit 
des Erwerbes. Während nach dem in erster Lesung angenommenen ur- 
sprünglichen Antrag die Gemeinden als Vergütung für die Erhebung der 
Wertzuwachssteuer 20 vom Hundert erhalten sollten, wird nunmehr be- 
stimmt: „Von den Erträgen der Wertzuwachssteuer fließen 50 Prozent in 
die Reichskasse. Der Rest fließt vorbehaltlich anderweitiger Bestimmung 
der Landesgesetzgebung den Gemeinden zu. Von der Umnsatzsteuer sind 
befreit: Der König, die Königin und die königlichen Witwen, der Reichs- 
und bundesstaatliche Fiskus, deutsche Kirchen= und Religionsgesellschaften 
mit dem Rechte juristischer Personen, öffentliche Wohltätigkeitsanstalten, 
Schulen und Universitäten, die Gemeinden in Armen-, Schul= und Kirchen- 
angelegenheiten und gemeinnützige Wohnungs-Baugenossenschaften. Die in 
25 jährigen Perioden zu entrichtende Fideikommißabgabe wird statt auf 
1 Prozent auf ½ Prozent festgesetzt. Die Umsatz= und Wertzuwachssteuer 
sind nicht zu entrichten bei Besitzveränderungen, deren notarielle oder ge- 
richtliche Beurkundung vor dem 1. April 1909 erfolgt ist — in der ersten 
Lesung hieß es: Vor dem 1. Oktober —, falls die Umschreibung im Grund- 
buche vor dem 1. April 1910 erfolgt.“ Mit diesen Aenderungen werden 
die Umsatz= und Wertzuwachssteuer angenommen. 
Sodann werden die beschlossenen neuen Steuervorlagen in zweiter 
Lesung noch einmal durchgesehen: Kaffee- und Teezoll, Beleuchtungskörper- 
und Zündhölzersteuer, Mühlenumsatzsteuer und Kohlenausfuhrzoll und 
überall die gefaßten Beschlüsse bestätigt. Die nächste Sitzung für die Be- 
richtverlesung wird auf den 12. Juni festgesetzt. 
29. Mai. (Berlin.) Freiherr v. Schoen und der französische 
Geschäftsträger Baron Berchheim unterzeichnen im Auswärtigen Amt 
ein Protokoll, worin die deutsche Regierung und die französische Re- 
gierung erklären, jede soweit sie betroffen ist, daß sie ihr Bedauern 
über das in dem Haager Schiedsausspruch ihren Angestellten in 
Casablanca zum Vorwurf gemachte Verhalten ausdrücken. 
29. Mai bis 8. Juni. Die Parlamentsmitglieder der 
englischen Arbeiterpartei besuchen Duisburg, Düsseldorf, Köln, 
Berlin, Bremen und Bremerhaven. 
31. Mai. Graf Zeppelin unternimmt eine Fernfahrt von 
Friedrichshafen nach Bitterfeld, kehrt aber, obwohl er in Berlin 
erwartet wird, 100 Kilometer von der Reichshauptstadt entfernt, 
wieder um. Bei der Rückkehr erleidet das Luftschiff bei Göppingen 
einen Riß seiner Ballonhülle, indem es beim Landen gegen einen 
Birnbaum getrieben wurde. Es hatte 38 Stunden ununterbrochen 
in der Luft verbracht und etwa 1000 Kilometer zurückgelegt.
	        
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