Des NVeutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 1.—3.) 191
1. Juni. (Württemberg.) Auf der Landesversammlung
der württembergischen Zentrumspartei in Ellwangen bekämpft der
Reichstagsabgeordnete Gröber die Nachlaßsteuer.
Sie treffe nur den unbeweglichen Besitz mit dem letzten Heller,
könne aber das mobile Kapital nur dann fassen, wenn der Besitzer grund-
ehrlich sei. Durch die vorgeschlagene Kotierungssteuer werde die Börse mit
etwa 80 Millionen Mark herangezogen. Dafür, daß die Börse leiden
müsse, sei eine Mehrheit im Reichstag vorhanden. Man werde sehen, ob
der Bundesrat als „Börsenschützer“ auftreten wolle. Die Versammlung
nimmt zum Schluß eine Erklärung an, worin sie der Fraktion im Land-
und Reichstag „lebhaften Dank und wärmste Anerkennung“ ausspricht.
2. Juni. Resolution der Vertretungen der deutschen Handels-
kammern gegen die Kotierungssteuer:
„Die am 2. Juni 1909 auf Einladung der Handelskammer zu
Berlin in deren Dienstgebäude versammelten sämtlichen Handelsvertretungen,
die in unmittelbaren Beziehungen zu den deutschen Börsen stehen, erheben
den schärfsten Widerspruch gegen den völlig verfehlten Beschluß der Finanz-
kommission des Reichstags, der dem Handel mit Wertpapieren und ihren
Besitzern in ungerechtester Weise unerträgliche Sonderlasten aufbürden will.
Die beschlossene Besteuerung würde die deutschen Börsen, die nach dem
Inkrafttreten der Borsengesegnovelle von 1908 eben auf dem Wege all-
mählicher Gesundung waren, aufs empfindlichste schädigen und noch tiefer
herabdrücken, als es durch die frühere Börsengesetzgebung geschehen war.
Sie würde den deutschen Kommunen, Anstalten und Unternehmungen die
Erfüllung ihrer wirtschaftlichen Aufgaben erheblich erschweren und die aus-
ländischen Börsen auf Kosten der inländischen stärken. Vor allem aber
würde sie die politischen und wirtschaftlichen Gesamtinteressen und damit
die Machtstellung des Deutschen Reiches bedrohen, weil sie den deutschen
Markt von den internationalen Finanzgeschäften ausschließen und so die
Grundlage des für Industrie, Handel und Landwirtschaft unentbehrlichen
Außenhandels erschüttern würde. Die durch nichts begründete Benach-
teiligung der zum Terminhandel zugelassenen Wertpapiere würde ähnliche
Wirkungen haben wie die vormaligen Terminhandelsverbote, deren Auf-
hebung im vergangenen Jahre aus der Erkenntnis ihrer allgemeinen
Schädlichkeit heraus unter Zustimmung des gegenwärtigen Reichstages
erfolgt ist. Die Erträge der Steuer würden hinter der von der Finanz-
kommission ohne sachliche Unterlagen und in oberflächlichster Weise erfolgten
Schätzung weit zurückbleiben und keinesfalls im Verhältnis stehen zu dem
unberechenbaren Schaden, den sie der deutschen Volkswirtschaft auf andern
Gebieten zufügen müßte. Die Versammlung bittet aus diesem Grunde
den Reichstag, dem Beschluß der Finanzkommission die Zustimmung zu
versagen; sollte der Reichstag jedoch diesem Beschluß beitreten, so erwartet
sie zuversichtlich von den verbündeten Regierungen, daß sie es verhindern
werden, daß eine derart das wirtschaftliche Leben der Nation schädigende
Steuer Gesetzeskraft erlangt.“
2.3. Juni. (Heilbronn.) Tagung des 20. evangelisch-
sozialen Kongresses.
Der Referent über „geistige Strömungen in der Gewerkschafts-
bewegung“ Liz. Schneemelcher (Berlin) erkennt an, daß auch das
Zentrum sich große sozialpolitische Verdienste erworben habe, und Graf