Das Dentsqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 6.—9.) 5
6. Januar. (Berlin.) Am Schluß der Tagung der Inter-
nationalen kriminalistischen Vereinigung wird folgende Resolution
widerspruchslos angenommen:
Die deutsche Landesgruppe der Internationalen kriminalistischen
Vereinigung hält an ihrer Auffassung fest, daß für die Verbesserung unserer
Strafimhig eine durchgreifende Reform des Strafprozesses er-
forderlich ist, die im Zusammenhang mit einer Reform des Strafrechts
vorgenommen werden müßte. Sie kann daher den jetzt vorgelegten Ent-
wurf nur als ersten Schritt für die notwendige große Reform von Straf-
recht, Strafprozeß und Strafvollzug betrachten und erachtet auch hierfür
folgende Aenderungen des Entwurfes für notwendig: 1. Bei der im Gesetz-
entwurf vorgesehenen Regelung der Berufung müssen auch in der Be-
rufungsinstanz Laien zugezogen werden, dabei ist die Möglichkeit ins Auge
zu fassen, für das erstinstanzliche Verfahren mit zwei Gerichten, einem
höhern und einem untern Gericht, ohne eine Mittelstufe auszukommen.
2. Völlige Selbständigkeit der von allen inquisitorischen Elementen zu be-
freienden Hauptverhandlung. Beibehaltung des Grundsatzes des jetzigen
§ 244 Abs. 1 Str PrO. (uneingeschränkte Beweisaufnahme). 3. Gegen die
Verhängung der Untersuchungshaft hat auf Antrag mündliche Verhandlung
statizufinden. Jedem wegen Verbrechens oder Vergehens Verhafteten ist
auf Antrag ein Verteidiger zu bestellen. 4. Durchbrechungen des Legalitäts-
prinzips sind nur unter weitergehenden Kautelen, als sie der Entwurf auf-
stellt, zulässig. Ferner wird der dringende Wunsch ausgesprochen, daß die
Behandlung jugendlicher Uebeltäter in formeller und materieller Be-
ziehung durch ein Spezialgesetz geregelt werden möge.
8. Januar. Eine Erklärung im „Reichsanzeiger“ besagt, die
Besprechung des Kaisers mit den kommandierenden Generalen habe
sich nur auf rein militärische Fragen erstreckt und sei nicht für
die Oeffentlichkeit bestimmt gewesen. Die in dem viel erörterten
Artikel enthaltenen politischen Gedanken seien in den Ausführungen
des obersten Kriegsherrn nicht in Betracht gekommen.
9. Januar. (Württemberg.) Die Regierung hat mit dem
Etat für 1909 und 1910 den Landständen zwei Steuergesetzentwürfe
vorgelegt.
Der eine Entwurf sieht die Erhöhung der Einkommensteuer um
12 Prozent vor, während der andere die Gültigkeit der bestehenden Grund-,
Gebäude- und Gewerbesteuer vom Jahr 1910 auf 1913 verlängert. Der
Staatsbedarf wird für 1909 auf 97 und für 1910 auf 99 Millionen Mark
berechnet. Da der Reinertrag der Staatseisenbahnen im Jahre hinter der
Schätzung zurückblieb, so muß der ganze Rest des Eisenbahnreservefonds
(2,6 Millionen Mark) in Anspruch genommen werden.
9. Januar. (Hamburg.) Der Senat ließ der Bürgerschaft
den Staatsvertrag mit Preußen über die Verbesserung des
Elbfahrwassers, die Schaffung eines Seeweges nach Harburg und
über gegenseitige Gebietsabtretungen zugehen.
Die Kosten der Ausführung betragen für Hamburg 36772000 Mark,
wovon Preußen 2200000 Mark vergütet. Dazu kommen 1130000 Mark
Abfindungen. Die Beträge sollen durch eine Anleihe beschafft werden.