Das Denisqhe Reich und seine eintelnen Glieder. (Juni 16.) 205
keiner Weise beeinflußt. Diese Animosität hat sich zu ganz unwahren
Behauptungen und sehr ungerechten Angriffen verdichtet, die von einzelnen
Mitgliedern der Zentrumspartei gegen mich erhoben worden sind. (Unruhe
im Zentrum.) Man hat meine zweifellos vollbewährte und zweifelsfreie
Bundestreue gegenüber Oesterreich-Ungarn in Zweifel gezogen, man hat
es sogar gewagt, meine ebenso zweifellos bewährte Treue für das Königliche
Haus, für Se. Majestät den Kaiser und König zu verdächtigen. (Große
Unruhe im Zentrum. Zurufe: Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.)
Mitglieder der Zentrumspartei haben sich Verdächtigungen angeeignet, die
in Pamphleten gegen mich erhoben worden waren. Das alles hat mich
in meiner politischen Haltung nicht irre gemacht, an Verleumdungen bin
ich gewöhnt. (Große Unruhe im Zentrum.) Ich verstehe jetzt, was Fürst
Bismarck meinte, als einmal ein ausgezeichneter Mann wenig Lust zeigte,
ein Ministerportefeuille zu übernehmen und der Fürst in seiner ihm
eigenen drastischen Ausdrucksweise sagte: „Eigentlich begreife ich, daß Sie
nicht Lust haben, in die Drecklinie einzurücken.“ (Große Heiterkeit.) Das
war vor 30 Jahren. Seitdem ist es schwerlich besser geworden. Daß also
meine Gegner zum Teil mit recht unschönen Waffen gegen mich kämpfen,
beeinflußt mich nicht, eine solche Kampfesweise richtet sich selbst. Ich habe
mich auch nicht dadurch beirren lassen, daß Mitglieder andrer Parteien
des Hauses die gesellschaftlichen Beziehungen zu mir abgebrochen haben.
(Bewegung.) Vielleicht trägt mein langer Aufenthalt im Auslande dazu
bei, daß ich nicht gewohnt bin, daß man sich gegenseitig gesellschaftlich
ausschließt, weil man politisch hart aneinander geraten ist oder politisch
oder wirtschaftlich anders denkt. Ich hoffe, daß sich in dieser Beziehung
der Takt noch bessern wird und däß man auch bei uns dahin kommen
wird, wo andere Völker schon lange sind. - Namentlich in England denkt
man nicht so kleinlich, die politischen Gegensätze auf das persönliche Gebiet
zu übertragen. Ich hoffe, wir werden auch dahin kommen, daß man den,
der in politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Fragen anders denkt als
man selbst, deshalb nicht gleich für einen Narren oder Schurken hält.
(Sehr wahr! und Bewegung.) Das wird dann ein schöner Fortschritt sein
auf dem Wege der Befreiung von geistiger Gebundenheit, auf dem Wege
der Abstreifung von Philisternetzen. Aber vorläufig sind wir noch nicht
so weit. Also die Haltung der Zentrumspartei mir gegenüber ändert nichts
daran, daß es mir niemals eingefallen ist, diese Partei zu boykottieren.
ch werde mich aber auch nicht bewegen lassen, die Geschäfte so zu
führen, daß die Liberalen von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Ich
habe nie daran gedacht und denke auch heute nicht daran, mir das liberale
Programm anzueignen. Aber die Mitwirkung der Liberalen bei großen
gesetzgeberischen Aufgaben erscheint mir im Interesse unserer Fortentwicke-
lung, einer ruhigen und gesunden Entwickelung im hohen Grade wünschens-
wert. (Lebhafter Beifall links, Lachen im Zentrum und auf der Rechten.)
Meine Herren, die deutsche Einheit ist geschaffen worden von Männern,
die der konservativen Gedankenrichtung angehört haben. Der unvergleich-
liche Staatsmann, der sie realisiert hat, hat lange, heftige Kämpfe führen
müssen mit den liberalen Parteien. Aber derselbe große Staatsmann hat
später nicht nur seinen Frieden geschlossen mit den Liberalen, sondern er
hat den liberalen Ideen großen Einfluß eingeräumt. Fürst Bismarck hat
nicht übersehen, daß die nationale Idee in liberalen Kreisen geboren wurde,
daß sie lange vertreten wurde von liberal gesinnten Männern gegenüber
der Kurzsichtigkeit, Engherzigkeit und dem Mangel an Schwung, den damals
vielfach die Regierungen zeigten. (Lebhafter Beifall links.) Den liberalen
Geist auszuschalten aus unserer Gesetzgebung und unserm öffentlichen Leben