210 Das Venische Reich und seine einfelnen Glieder. (Juni 16.)
Nun noch ein persönliches Wort. Seit Wochen regen sich die
Zeitungen darüber auf, ob ich bleibe oder gehe. (Heiterkeit.) Ich bleibe,
solange Se. Majestät der Kaiser glaubt, daß meine Mitwirkung in der
inneren und äußeren Politik nützlich ist für das Reich und solange ich
selbst nach meiner eigenen politischen Ueberzeugung und nach meiner Be-
urteilung der Sachlage glaube, nützlich wirken zu können. Ich kenne kein
Gebiet der inneren Politik von gleicher Wichtigkeit, wie das baldige Zu-
standekommen der Finanzreform. (Allseitige Zustimmung.) Dieser großen
Aufgabe ordne ich selbstverständlich meine Person vollkommen unter. Wenn
ich mich überzeugen sollte, daß meine Person der Sache entgegensteht, daß
ein andrer leichter zum Ziele gelangt, oder wenn sich die Verhältnisse in
einer Richtung entwickeln sollten, die ich nicht mitmachen kann und will,
und nicht mitmachen werde, so wird es mir auch möglich sein, den Träger
der Krone von der Opportunität meines Rücktritts zu überzeugen (Be-
wegung), und dann wird mein Wunsch, daß mein Nachfolger Erfolge er-
zielt, ebenso ehrlich sein, wie es meine Arbeit im Dienste des Landes war.
(Beifall.)
Danach erläuterte der Staatssekretär des Reichsschatzamts Sydow
die Stellung der verbündeten Regierungen zu den neuen Vorlagen und
zu den Beschlüssen der Finanzkommission. Er verweist auf die Bereit-
willigkeit der Liberalen, 400 Millionen Konsumsteuern zu bewilligen, wenn
100 Millionen auf den Besitz gelegt werden. Diesen Standpunkt hat sich
auch die Regierung im wesentlichen zu eigen gemacht. Die Kommission
hat nun Konsumsteuern in Vorschlag gebracht, die abgesehen von einzelnen,
die ausscheiden müssen — wie die Mühlenumsatzsteuer — rund 360 Mil-
lionen aufbringen können. Anders liegt die Sache bei den Besitzsteuern.
Da liegen Besohlüsse vor, die nicht zweckmäßig sind. Daher hat die Re-
gierung neue Steuervorlagen dem Hause unterbreitet. Der Schatzsekretär
erörtert in erster Linie die Kotierungssteuer. Sie ist zunächst eine un-
gerechte Steuer. Sie geht gegen die Börse, trifft aber in Wirklichkeit
andere Kreise und mit den Schuldverschreibungen auch weite Kreise kleiner
Leute. Durch den Druck, den sie auf den Kurs ausübt, trifft sie die
Kapitalsbildung. Sie belastet gewisse Zweige des öffentlichen wirtschaft-
lichen Lebens. Dazu kommt, daß die Steuer auch geplant ist für den
Fall, daß eine Gesellschaft keine Dividende bezahlt. Es ist bereits von der
Kommission darauf hingewiesen worden, daß z. B. der Norddeutsche Lloyd
neben seinem Verlust noch eine Abgabe von 430000 Mark würde entrichten
müssen. Dabei ist es noch durchaus zweifelhaft, ob es zulässig ist, diese
Steuer auch auf ausländische Papiere, die an unserer Börse zugelassen
sind, auszudehnen. Auf ausländische Staatspapiere ganz gewiß nicht.
Dazu kommen noch die volkswirtschaftlichen Bedenken, die der Steuer ent-
gegenstehen, besonders zunächst für die ausländischen Papiere. Sie würde
diese vom deutschen Markte verdrängen. Deutschland braucht einen Bestand
an guten ausländischen Papieren. Es braucht sie für den Fall, daß aus-
ländische Guthaben zurückgezogen werden, zur Schonung seines Besitzes an
Gold. Die deutsche Industrie braucht aber auch die Beteiligung Deutsch-
lands in ausländischen Werten. Es ist das ein Faktor des wirtschaftlichen
Ansehens. Sie sehen das ja jetzt bei der Kanton-Hankau-Bahn, wo die
größten europäischen Staaten mit den Vereinigten Staaten von Amerika
darin wetteifern, einen Anteil an dem Unternehmen zu bekommen, daß
das ein Mittel ist, die inländische Industrie mit Aufträgen für das Aus-
land zu versehen. Aber die Kotierungssteuer würde auch die Kapital-
beschaffung erschweren. Durch Herabdrückung der Rente um den Steuer-
betrag wird das Geld, das die Unternehmungen aufwenden müssen, ver-