Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

214 Daes Pentsqhe Reiq und seine einjelnen Glieder. (Juni 16.) 
des Bauernstandes gelegt werde. (Sehr wahr!) Höher als 4 Prozent 
konnten wir bei der Erbschafrsfteuer nicht gehen, da die Belastung für den 
Grundbesitz etwas stark geworden wäre, und aus dem taktischen Grunde, 
weil dann eine Mehrheit erst recht dafür nicht zu finden sein würde. Wir 
halten es nicht für zutreffend, daß der Familiensinn unter dieser Steuer 
leiden würde, und berufen uns auf das Vorgehen in Elsaß-Lothringen, in 
England, in Frankreich. Wir sehen auch hierin keine sozialistische Maß- 
regel, sie nimmt das Vermögen nicht in anderer Weise in Anspruch als 
die Vermögenssteuer bei Lebzeiten. Wenn bei einer Erbschaft von 10000 Mark 
ein Betrag von 100 Mark fortgenommen wird, so trifft das auch die 
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Empfängers durchaus nicht. Er bleibt 
mit dem Reste immer noch unendlich besser gestellt als andere, die beim 
Ableben ihrer Eltern ein niedrigeres oder gar kein Erbe erhalten. Es ist 
bar nicht zu leugnen, daß in weiten Kreisen eine Bewegung zugunsten der 
rbanfallsteuer vorhanden ist und anderseits wieder ein Wilerrstand in 
landwirtschaftlichen Kreisen. Nun meine ich doch, daß es eine eigene Sache 
ist, daß man wegen landwirtschaftlicher Kreise, die den geringern Betrag 
zu dieser Steuer aufbringen sollen, die andern Teile, die alle bereit sind, 
die Steuer zu zahlen, nicht zulassen soll zur Zahlung dieser Steuer (sehr 
richtig! links), und daß man in Form der Kotierungesteuer oder in Form 
anderer Abgaben die Entwickelungsquellen des Wohlstandes belasten soll. 
Abg. Bassermann (ul.) legt die Stelllung der National- 
liberalen dar. Der Schluß der Rede verbreitet sich folgendermaßen über 
die Gesamtstellung des Liberalismus zur Finanzreform: 
Die Kundgebung vom 12. Juni im Zirkus Schumann kann man 
durch Hohn und Spott nicht aus der Welt schaffen. Ihre Bedeutung liegt 
nicht in dem Zusammenschluß von 6000 Personen, sondern darin, daß 
unter ihnen die Kapitäne der deutschen Industrie waren. (Lärm im Zen- 
trum.) Sie finden in dem Bunde Handel und Industrie vereinigt. Be- 
denken Sie wohl, Freihändler und Schutzzöllner, Industrie und Handwerk 
(Lärm im Zentrum; Unruhe rechts), Innungen und freie Berbände, alle 
usammengeschlossen zu einer großen Kampfesorganisation. Wie hoch muß 
a die Glut des Unwillens gestiegen sein, wenn diese doch reichlich hete- 
rogenen Elemente sich in einer einzigen Organisation zusammengefunden 
haben. (Lebhafter Beifall links.) Der Zusammenschluß ist erfolgt, weil 
alle diese Kreise die Quellen, aus denen die Werte geschaffen werden, be- 
droht sehen und eine Vernichtung ihrer Existenzbedingungen befürchten. 
Unterschätzen Sie die Bedeutung dieser Vereinigung nicht. Ich erinnere 
Sie daran, wie seinerzeit die Arbeitgeber sich gegen die Sozialdemokratie 
zusammenschlossen und damals Spott und Hohn ernteten. Man traute es 
dem Unternehmertum nicht zu, daß es einig und mächtig genug sein würde, 
egenüber den Arbeiterorganisationen. Und wie ist es heute? Heute ist 
er Arbeitgeberstand stark organisiert und benutzt das Mittel der Sperre 
als Gegenmaßregel gegen die Streiks. Das ist auch eine Bewegung, die 
aus kleinen Anfängen stammt und heute ein großer Machtfaktor ist. Am 
bemerkenswertesten waren am 12. Juni die Ausführungen des Vorsitzenden 
des Zentralausschusses der vereinigten Innungsverbände Deutschlands, Ober- 
meisters Richt. Er sagte: „Die Hinweise, daß die Erbschaftssteuer den Familien- 
finn schädige, hätten nichts gemein mit deutscher Art. Es handelt sich dabei 
nur um einen traurigen Versuch, sich um notwendige Lasten herumzudrücken.“ 
Er fügte hinzu, daß die Mitgliederzahl der im Innungsverbande zusammen- 
geschlossenen Organisationen die Zahl 300000 bereits überschritten habe und 
daß alle diese Organisationen sich dem neuen Bunde zur Verfügung stellten. 
(Lärm im Zentrum). Das sagte kein Kapitalist, sondern ein Innungsmeister.
	        
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