Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Denische Reih und seine einjelnen Glieder. (Juni 16.) 215 
Bei den Kommissionsbeschlüssen fehlt es am Ausgleich durch eine 
allgemeine Besitzsteuer. Der reichste Mann, der sein Bermögen in Staats- 
papieren und Hypotheken anlegt, braucht keinen roten Heller für die Re- 
form zu zahlen und ebensowenig jemand, der sein Geld in ausländischen 
Banken anlegt, die heute mit großem Vergnügen den bisherigen Gang 
dieser Gesetzgebung verfolgen. Und nun verlangen Sie, daß die Regierungen 
ihre eigenen Vorlagen aufgeben und diesem Werke der konservativ-klerikalen 
Mehrheit . . . (Lärm im Zentrum) — ja, klerikal wollen Sie ja nicht mehr 
heißen (große Heiterkeit) — ohne weiteres zustimmen. Das fühbrt ohne 
weiteres zur Parlamentsherrschaft. (Lachen rechts.) Ich hoffe, daß die 
Regierung Ihre Beschlüsse ablehnen und die nötigen Konsequenzen ziehen 
wird. Die Regierung ist auf dem rechten Wege und die Regierung wird 
siegen, wenn sie will und wenn sie stark genug ist. (Gelächter im Zentrum. 
Bewegung.) Ich für meine Person würde auch vor Neuwahlen nicht 
zurückschrecken. (Lärm im Zentrum.) Ich weiß ebensogut wie Sie, daß 
in solchen Zeiten, in denen der Staat große neue Bedürfnisse hat, den 
Sozialdemokraten vielleicht aus den Wahlen gewisse Erfolge erwachsen; 
aber ich bitte Sie, diese Erfolge nicht zu überschätzen, denn Sie müssen 
auch den Vorteil. in Rechnung stellen, daß die Regierungen übereinstimmen 
mit dem ganzen liberalen Bürgertum. (Lärm und Gelächter im Zentrum.) 
Sie dürfen auch nicht glauben, daß, wenn etwa eine verkehrsfeindliche und 
ungerechte Finanzreform verabschiedet wird, die Zwischenzeit bis zu den 
nächsten Wahlen das Verhältnis in dieser Beziehung günstiger gestalten 
würde in einer Periode der allgemeinen Unzufriedenheit, wo man erst das 
alles an den Steuerprojekten empfinden wird, was heute ja noch gar nicht 
erkannt ist. Im Gegenteil ist die Gefahr vorhanden, daß die Unzufrieden- 
heit dann noch viel größer sein wird, daß sie der Sozialdemokratie 1911 
noch ganz andere Erfolge bringen würde als jetzt. Wir müssen die Frage 
nochmals aufwerfen: Wird man gegen ein einmütiges Votum von Industrie 
und Handel, von Handwerk und Mittelstand eine Reform (Widerspruch 
rechts) akzeptieren, die antisozial und einseitig ist, die eine allgemeine Heran- 
ziehung des Seipes ablehnt, eine Reform, die in ihren Endresfultaten nach 
meiner ehrlichen Ueberzeugung dazu führen wird, die Chancen der Sozial- 
demokratie wieder zu mehren, weil ihr der oberste Grundsatz fehlt! justitia 
fundamentum regnorum? Auch in der Steuergesetzgebung ist die justitia 
vonnöten. Wird man eine Reform annehmen, die die deutsche Weltmacht 
schädigt, weil sie unsern Wettbewerb erschlägt, wird man sich unter das 
Joch einer solchen Reform beugen? Ich glaube, sobald diese Frage gestellt 
ist, ist sie auch verneint. Und nach dieser Richtung begrüße ich die heutigen 
Ausführungen des Reichskanzlers, der wiederholt von der allgemeinen 
Heranziehung des Besitzes sprach. Unter diesen Gesichtspunkten sind wir 
Überzeugt, daß die Regierung bei ihrem Programm festbleiben wird und 
daß sie jede für die weitere Entwickelung des Vaterlandes verderbliche 
Gesetzgebung hintanhalten muß. (Beifall links.) 
Der Reichskanzler hat heute vom Blockgedanken gesprochen. 
Meine Freunde stimmen ihm darin zu. (Gelächter im Zentrum.) Der 
Blockgedanke, wie er erwachsen ist in der Krisis, die zu den letzten Neu- 
wahlen geführt hat, ist ein guter und gesunder Gedanke, der die ganze 
Entwickelung unserer Politik gehoben hat, (Gelächter im Zentrum), ein 
Gedanke, der auch eine gute erzieherische Wirkung auf das Zentrum gehabt 
hat. (Lärm im Zentrum.) Wir würden bedauern, wenn dieser Gedanke 
zu Grabe getragen würde, wenn wir wieder zu den frühern Zuständen 
zurückkehrten. Ich bin überzeugt, daß diese Blockpolitik, die doch in vielen 
deutschen Herzen großen Jubel ausgelöst hat (Lärm im Zentrum, Zustim-
	        
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