Das NVesische Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 17.) 223
die Art, wie die öffentliche Meinung zum Teil die Sache behandelt hat.
Wenn man jemanden überzeugen will, soll man nicht mit Scheltworten
kommen und ihm nicht Motive unterschieben, die er nicht hat. Ich kann
es aber auch nicht unterdrücken, daß die Haltung der Linken die Ver-
ständigung auch erschwert hat. Wo soll denn das Geld herkommen? In
erster Linie mußten wir uns doch sagen: vom Tabak, und wir haben es
daher sehr bedauert, daß aus dem Tabak nicht ein wesentlich höherer Er-
trag herausgekommen ist. Ebenso hat auch die Haltung der Linken in
der Branntweinbesteuerung die Verständigung über ein gemeinsames Pro-
gramm erschwert. Eine angemessene Gestaltung der Branntweinsteuer ist
eine Lebensfrage, sowohl für die armen Höfe im Osten, wie auch für die
kleinen Brenner des Westens. Es ist ein Irrtum, daß es sich hier nur
um ein Interesse des Großgrundbesitzes handelt. Kommt es zu einem
Kampf aller gegen alle, so würden die kleinen Brenner im Westen und
Süden die ersten sein, die gegen eine unangemessene Gestaltung dieser
Steuer Front machen. Ich will in dieser ernsten Stunde keine Vorwürfe
erheben. Gewiß handelt jeder nach seinem besten Gewissen, aber das muß
man sich doch fragen, ob es denn nicht möglich ist, die Hindernisse einer
Verständigung zu beseitigen. Die langen Verhandlungen der letzten Zeit
waren — das müssen wir doch als ehrliche Leute bekennen — weder für
unsere innerpolitische Lage, noch für unser Ansehen im Auslande förderlich.
In einem Lande mit konfessionellen, mit starken wirtschaftlichen Gegen-
sätzen muß doch alles Streben dahin gehen, diese Gegensätze zu mildern
und alle Schichten zu gemeinsamer Arbeit zusammenzufassen. Leider aber
sind die Gegensätze verschärft, die gemeinsame Arbeit ist erschwert worden.
Wäre es denn erwünscht, wenn unsere Nation allmählich in zwei getrennte
Heereslager zerfallen sollte? Ist es insbesondere vom Standpunkt der
Realwirtschaft erwünscht, daß die Industrie, die bisher immer mit der
Landwirtschaft Hand in Hand gegangen ist, die auch immer für einen
ausreichenden Zollschutz der Landwirtschaft gesorgt hat, nun vielleicht in
ein anderes Lager übergeht? Diese Bedenken vom Standpunkte der Rück-
wirkung auf unsere inneren politischen Zustände sind sehr ernst. Aber
noch viel ernster wird die Sache, wenn Sie an das Ausland denken. Sie
brauchen bloß die ausländischen Blätter zu lesen, um sich ein Urteil
darüber zu bilden, mit welcher Freude die Schwierigkeit, die anscheinende
Unmöglichkeit der Verständigung bei uns von einem Teile des Auslandes
begrüßt wird. Und ich meine, daraus müssen wir gerade Veranlassung
nehmen, unter allen Umständen über die Schwierigkeiten hinwegzukommen.
(Sehr richtig!) Es scheint manchmal so, als ob es wirklich ein unglück-
seliges Verhängnis unseres Volkes ist, daß alle nationalen großen An-
läufe immer wieder durch Parteirücksichten, durch Interessengegensätze,
durch vorgefaßte Meinungen zerpflückt und vielfach zerstört werden
(Rufe: Leider!), daß das Gold der deutschen Natur nur in den Tagen
der schwersten Prüfung zur Erscheinung tritt, aber in friedlichen Zeiten
verdunkelt und verdeckt wird durch die alten Erbfehler unserer Nation.
Meine Herren! Noch ist es Zeit, sich die Hand zur Verständigung zu
bieten, noch ist es Zeit, über die Hemmnisse hinwegzukommen, die jetzt
der ganzen Regelung entgegenstehen, deshalb geht meine Bitte dahin,
noch einmal zu prüfen, ob es nicht möglich ist, dieser Hindernisse Herr
zu werden, ob Sie sich nicht gegenseitig die Hand reichen können= ob das,
was an Berrissenheit in den letzten Wochen hervorgetreten ist, Nicht aus-
gelöscht werden könne durch das einheitliche Bestreben, endlich unserem
Baterland dem von uns allen erstrebten Ziele seiner finanziellen Wieder-
geburt entgegenzuführen. (Stürmischer, langanhaltender Beifall. Reichs-