Vas Veuische Reich und seine eimelu#en SElieder. (Juni 19.) 229
Zukunft sein werden. Diese Wirkung wird nicht ausbleiben, mögen die
Würfel so oder so fallen. Die schwierige politische Konstellation der letzten
Jahre in der innern Politik ist zu Ende gegangen. Der Reichskanzler
bat zwar vor einigen Tagen noch versucht, am Grab seines Lieblings-
indes die Hoffnung auf ein fröhliches Wiedersehen aufzupflanzen, aber
ich glaube mit Unrecht. Der Block gehört der Geschichte an und wird
nicht mehr auferstehen. Er oder etwas Aehnliches war nach dem Ergebnis
der letzten Reichstagswahlen etwas Notwendiges, und wenn er weiter nichts
erreicht hätte, als die konservativ-klerikale Koolition so lange als möglich
hintanzuhalten, so wäre er nicht umsonst gewesen. Dagegen bezweifle ich,
daß der Block pädagogisch auf das Zentrum gewirkt hat. Ach, da ist nicht
viel zu machen. (Stürmische Heiterkeit.) Aber das eine hat er doch er-
reicht: Solange die Konservativen im Block waren, haben sie die Politik
des Reichskanzlers unterstützt, die dahin ging, daß ohne Rücksicht auf den
Liberalismus im Deutschen Reiche nicht mehr regiert werden könne. (Sehr
gut! links.) Weiter hat der Block den Nutzen gebracht, daß er uns Liberale
im weitern Sinne einander viel näher gebracht und uns von dem Vor-
wurf der Negation befreit hat. (Beifall links.) Alles in allem kann man
sagen: Der Block wird uns eine lehrreiche und höchst interessante Erinnerung
sein. (Stürmische Heiterkeit.) Um was es sich bei dem Widerstand der
Konservativen gegen die Erbschaftssteuer handelt, ist noch nicht ganz klar.
Die konservative Presse hat mit großer Offenheit behauptet, der Kampf
gelte der Reform des preußischen Wahlrechts. Dieses Wahlrecht verdient
in der Tat, auch im Deutschen Reich in den Vordergrund der Diskussion
gestellt zu werden. Wenn man aber bisher die Erörterung des preußischen
Wahlrechts als einen unerhörten Eingriff in preußische Reservate bezeichnet
hat, erfüllt es uns mit Genugtuung, daß umgekehrt jetzt die konservative
Trese erklärt, daß die Interessen des Reichs auch in den wichtigsten
ebensfragen zurücktreten müssen in dem Augenblick, in welchem es sich
um ein preußisches Reservatrecht der herrschenden Klassen handelt. (Sehr
richtig! links.) Ich bewundere nur die Gutmütigkeit derjenigen nicht-
preußischen Konservativen, die ihre Zustimmung dazu geben, daß der Kampf
zwischen den preußischen Konservativen und der preußischen Regierung auf
Reichskosten ausgefochten wird. Wenn die Konservativen und die Klerikalen
von natürlicher Anziehungskraft angezogen sich zusammenfinden, dann haben
die andern Parteien alle Veranlassung, auf ihrer Hut zu sein. Ob die
Konservativen bei der neuen Koalition ihre Rechnung finden werden, ist
eine Frage, die sie selbst zu beantworten haben. (Sehr richtig! rechts.)
Sie werden in dem neuen Verhältnis einen schweren Stand haben, zumal
ihnen die innere Geschlossenheit fehlt. Sie sind die Schwächern, und senti-
mentale Gefühlsregungen werden das Zentrum niemals hindern, in diesem
Verhältnis das Recht des Stärkern mitleidslos zur Geltung zu bringen.
(Keöbafte Zustimmung links, Lachen im Zentrum.) Das Zentrum zahlt
ür die Zustimmung zu geradezu gemeingefährlichen Steuern (große Un-
ruhe im Zentrum) einen hohen Preis. Es wird bald versuchen, auf die
Kriegskosten zu kommen. Dann aber kann die Lage für die konservative
Parteileitung immerhin kritisch werden (sehr richtig! links), und wenn über
kurz oder lang der Wahlkampf entbrennt, kann dieser Aufmarsch für die
Konservativen verhängnisvoll werden. Bor zwei Jahren haben es die
Sozialdemokraten zu ihrem Schaden erfahren müssen, was dabei heraus-
kommt, wenn gleichzeitig der Topf mit dem Kessel ins Treffen geht.
Geiterkeit. Weite, bisher politisch nicht interessierte Kreise sind erwacht.
ie sind in den letzten Monaten weiter vorwärts geschritten als in den
voraufgegangenen dreißig Jahren. Diese Kreise können es nicht verstehen,