Das Veutsche Reitz und seine einzelnen Slieder. (Juni 22.) 233
22. Juni. (Reichsfinanzreform.) Die „Nationalliberale
Korrespondenz“ schreibt:
„Es gehen durch die Presse immer wieder Nachrichten, die es als
möglich oder gar wahrscheinlich hinstellen, daß die Nationalliberalen am
letzten Ende sich zu der neuen Mehrheit schlagen würden. Es ist nach
all den letzten Kundgebungen der Nationalliberalen Partei und der Reichs-
tagsfraktion verwunberlich, daß ernsthafte Politiker diesen Vermutungen
Glauben schenken können. Um endgültig diesen irreführenden Nachrichten
den Boden zu entziehen, können wir mitteilen, daß die nationalliberale
Fraktion des Reichstages einstimmig beschlossen hat, für den Fall der Ab-
lehnung der Erbanfallsteuer, der heute einzig möglichen allgemeinen Besitz-
Heuer, den Finanzreformplan der Mehrheit in allen seinen Teilen ab-
zulehnen.“
22. Juni. (Cuxhaven.) Eine Kundgebung des Kaisers
zur Reichsfinanzreform.
In Cuxhaven hielt der Hamburger Bürgermeister Dr. Burchard
bei dem Festmahl des Norddeutschen Regattavereins auf der „Deutschland“
der Hamburg-Amerika-Linie eine Rede, worin er dem Kaiser den wärmsten
Dank der Bürgerschaft aussprach, daß er es möglich gemacht habe, doch
noch nach Hamburg zu kommen und an der Regatta teilzunehmen. Der
Schluß der Rede lautete: „Heute sind wir alle ohne Ausnahme davon
durchdrungen, daß es etwas Erhebendes ist um den Segelsport, der den
Blick schärft, den Mut stählt und die Hand festmacht, durchdrungen von
der Empfindung der gleichsam magischen Anziehungskraft des Meeres.
Kleinliche Empfindungen schwinden im Angesicht der unendlich erscheinenden
Meeresfläche, des unbegrenzten Horizontes, und das oft selbstbewußte, eigene
kleine Menschentum tritt zurück vor der Größe und Erhabenheit des ge-
waltigen Elementes. Solche Gedanken liegen weitab von Erwägungen
politischer Art, und von letztern darf dann auch in diesem Kreise nur
ausnahmsweise einmal ein Wort geredet werden. Aber ich möchte doch zu-
nächst daran erinnern, daß Euere Majestät vor einem Jahr in unserm
Kreis der Notwendigkeit der deutschen Reichsfinanzreform gedacht haben.
Seirdem schien es häufig, als sollte dies für die Lebenskraft des Reiches,
für unser Selbstbewußtsein, für unser Ansehen dem Auslande gegenüber
unumgängliche Werk nicht gelingen. Möge aller noch vorhandenen Schwierig=
keiten ungeachtet die Hoffnung als berechtigt sich erweisen, daß dem ein-
mütigen Votum der Nation das Vollbringen schließlich nicht fehlen wird.
Befreit von schweren Sorgen um das Gelingen des großen Reformwerkes
wird sich das deutsche Volk mit neuem Mut der Fülle seiner produktiven
Arbeit widmen. Dies wird das deutsche Volk in um so größerer Zuversicht
tun, als Eure Majestät unausgesetzt bemüht sind, dem Reiche den Frieden
zu erhalten. Kommen doch Eure Majestät eben jetzt von einer Reise nach
Rußland zurück, die, wie wir hoffen dürfen, der Sicherung des Weltfriedens
erfolgreich gedient hat. Eure Majestät haben am 27. Januar d. Is. das
50. Lebensjahr vollendet, in besonderer Weise getragen von der Zuneigung
und dem Wunsche der Nation, begrüßt von den deutschen Fürsten und den
Bertretern der freien Hansastädte. Das deutsche Volk hat sich zu seinem
Kaiser bekannt, es schwand der Streit der Parteien und der Kampf des
Tages setzte aus. Wir, die wir unserm Kaiser tief empfundene Verehrung
widmen, haben uns des aus dem ganzen Vaterlande und von jenseits des
Meeres zu vollen Akkorden zusammenklingenden Gelöbnisses, treu zu halten
zu Eurer Moajestät, von Herzen gefreut und wollen dies Gelöbnis nunmehr