###Neuische Reich und seine einjelnen Glieder. (Juni 26.) 241
Weiterarbeiten an dem wichtigen und schweren Werke der Finanzreform.
Es steht nun bei der Regierung und den Liberalen, aus der geklärten
Situation die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Langwierige Verhand-
lungen sind nicht mehr notwendig. Eine schnelle Lösung ist da, wenn die
in Betracht kommenden Faktoren wollen.“ — Die „Post“s schreibt: „Nach
den Worten des Kanzlers heißt diese Ablehnung mit Stumpf und Stiel
und die Ausschaltung des Liberalismus: Abschied oder Auflösung. Der
Sieg der Rechten war vollkommen. Die Krisis aber ist durch ihn akut
geworden.“ — Der „Vorwärts“ verlangt die Auflösung des Reichstags,
damit die Volksmassen selbst die Entscheidung treffen. Gegen die neue
Mehrheit, deren Finanzreform für die Besitzlosen eine neue Verschlechterung,
selbst gegenüber den Regierungsplänen, bedeute, müsse der Abwehrkampf
mit aller Energie aufgenommen werden. — Der „Börsencourier“, der
wie die andern Blätter die Möglichkeiten des Kanzlerrücktritts und der
Auflösung erörtert, weist auf einen dritten Weg hin, der dem Blatte der
richtige zu sein scheint. Demnach solle vorläufig von einer Auflösung des
Reichstags abgesehen werden. Die Regierung solle vielmehr jetzt die
Session schließen und den Reichstag im Herbst vor ein neues Werk der
Reichsfinanzreform stellen. Finde die Regierung dann keine Mehrheit,
dann erfolge Auflösung und Neuwahl. Das sei die beste Lösung.
25. Juni. (Reichstag.) Zweite Lesung des von der Re-
gierung neu vorgeschlagenen Umsatzstempels bei Grundstücken.
Graf Westarp berichtet über die Beschlüsse der Kommission. Von der
Regierung sind außer dem Schatzsekretär nur noch Kommissare des Schatzamts
anwesend. In Unterbrechung des Berichterstatters teilt der Präsident mit, daß
über die zur Debatte stehende Steuer namentliche Abstimmung beantragt sei.
Vor Eintritt in die Erörterung gibt der Abg. Bassermann die
Erklärung ab, daß, nachdem die Erbschaftssteuer erschlagen wäre, die
Regierung und die sie stützenden Parteien eine schwere Niederlage erlitten
hätten, die Nationalliberale Partei keine Ursache habe, den Siegeslauf der
neuen Mehrheit zu hemmen, den Lauf der Dinge aber auch nicht zu ver-
zögern. Die Partei sei bereit, 400 Millionen indirekte Steuern zu be-
willigen, aber auch das mobile Kapital hinreichend zu belasten. Zu diesem
Zwecke werde die Partei eine Kapitalrentensteuer beantragen, immer aber
in der Voraussetzung, daß eine allgemeine Besitzsteuer gefunden werde.
In der Gesamtabstimmung würde sie, da diese Voraussetzung gefallen ist,
gegen die Steuervorschläge stimmen.
Dr. Wiemer (frs. Vp.) gibt für die Freisinnigen dieselbe Erklärung ab.
Dr. David (Soz.) spricht seine Berwunderung aus, daß die Regierung
keine Erklärung abgibt. Es folgt die namentliche Abstimmung über
den Umsatzstempel. Der Umsatzstempel in Höhe von ½ Prozent wird
mit 174 gegen 151 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen.
Es folgt die Beratung der Erhöhung des Wechselstempels. Der
Kommissionsantrag, der die von der Regierung vorgeschlagene Erhöhung
des Stempels auf die Wechsel mit mehr als sechs Monaten Lauffrist be-
schränkt, wird angenommen.
Die von den Konservativen beantragte, von der Kommissionsmehrheit
angenommene Erhöhung des Zolles auf rohen Kaffee von 40 auf
60 Mark (für gebrannten, gerösteten und gemahlenen auf 80 Mark, und
auf Tee von 25 auf 100 Mark für den Doppelzentner wird mit 187
gegen 154 Stimmen angenommen.
Die Steuer auf Glühkörper wird mit 185 gegen 160 Stimmen
angenommen.
Europêischer Geschichtskalender. L. 16