Bas Neutseze Reich und seine einjelnen Glieder. (Juni 26.—28.) 243
26. Juni. Das Wolffsche Bureau verbreitet folgende Kund-
machung: Bei seinem heutigen Vortrag über die politische Lage hat
der Reichskanzler Seine Majestät den Kaiser um seine sofortige
Entlassung gebeten. Der Kaiser hat es jedoch abgelehnt, im
gegenwärtigen Augenblick dem Wunsche des Fürsten Bülow zu ent-
sprechen. Seine Majestät wies darauf hin, daß nach der einmütigen
Ueberzeugung der verbündeten Regierungen das baldige Zustande-
kommen der Finanzreform für die innere Wohlfahrt wie für die
Stellung des Reiches nach außen eine Lebensfrage sei. Er könne
unter diesen Umständen der Erfüllung des Wunsches des Fürsten
auf Entbindung von seinen Aemtern nicht eher näher treten, als
bis die Arbeiten für die Reichsfinanzreform ein pofitives und für
die verbündeten Regierungen annehmbares Ergebnis gezeitigt haben
würden.
27. Juni. (Preußen.) Die Immediatkommission zur Vor-
bereitung der Verwaltungsreform hält ihre erste Sitzung ab und
bildet sechs Unterkommissionen, auf die die Mitglieder verteilt
werden.
W. Juni. (Bremen.) Der Maler und Dichter Arthur
Fitger f. 69 Jahre alt.
28. Juni. Die Absicht der verbündeten Regierungen,
die Finanzreform ohne Erbanfallsteuer mit der konservativ-klerikal-
polnischen Mehrheit des Reichstags durchzuführen, wird aus fol-
gender Kundgebung in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“
„Zur weiteren Klarstellung“ erkannt:
„Von einigen Blättern ist versucht worden, die am Samstag er-
gangene Mitteilung über den bevorstehenden Rücktritt des Reichs-
kanzlers Fürsten v. Bülow in ihrer Bedeutung abzuschwächen. Zur
weiteren Klarstellung bemerken wir daher das Folgende: Der Reichskanzler
at den Kaiser um seine sofortige Entlassung gebeten. Seine Majestät hat
7 zur sofortigen Erfüllung dieses Wunsches nicht zu entschließen vermocht
und hat den Reichskanzler unter warmer Betonung seiner großen, in
zwölfjähriger Ministertätigkeit der Krone und dem Lande geleisteten Dienste
dringend gebeten, sein Amt noch so lange zu führen, bis die Reichsfinanz-
reform, deren Erledigung eine nationale Notwendigkeit sei, zustande gebracht
wäre. Der Kaiser hat sich dabei von der Ueberzeugung leiten lassen, daß
es am allerersten dem Fürsten Bülow gelingen werde, das Werk unter
Abweisung der dem Gesamtinteresse schädlichen und daher für die ver-
bündeten Regierungen unannehmbaren Steuervorschläge zu Ende zu führen.
Dem Ersuchen des Kaisers hat der Reichskanzler sich nicht entziehen wollen.
Jedoch ist er mit Rücksicht auf die politische Entwickelung, die durch die
Abstimmung über die Erbschaftssteuer ihren Ausdruck gefunden hat, un-
widerruflich entschlossen, alsbald nach Erledigung der Finanz-
reform aus dem Amte zu scheiden.“
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