252 Das Denisqe Reich unb seine einelnen Glieder. (Juli 4.)
müssen diesem Kanzler ein Wort des Dankes sagen. (Beifall.) Er hat
das Schiff des Reiches durch mancherlei Wirren der auswärtigen Politik
mit fester Hand gesteuert und uns die Weltstellung wiedergewonnen.
(Stürmischer Beifall.) Wer in dieser heutigen Periode einen Kanzler
stürzt, übernimmt eine schwere Berantwortung. (Lebhafter Beifall.) In
der innern Politik hat Fürst Bülow abgelehnt Polizeigesetze gegen die
Sozialdemokratie vorzuschlagen und hat eine maßvolle Sozialreform fort-
geführt und in dem Augenblick, wo er abtritt, hat er den Erfolg, daß
zum ersten Male in der sozialdemokratischen Fraktion der Revisionismus
gesiegt hat. (Beifall.) Fürst Bülow hat es verstanden, die links von uns
stehenden Liberalen und Demokraten zur praktischen Mitarbeit heran-
zuziehen. Das ist eine Errungenschaft, dauernd für unser Volk. (Stürmischer
Beifall.) Fürst Bülow will nicht weiter regieren mit einer ultramontan-
polnisch-konservativen Mehrheit gegen den Liberalismus. Sollen wir ihm
nicht danken für das Bekenntnis, daß ein Regieren gegen den Liberalismus
in Deutschland unmöglich ist? (Stürmischer Beifall.) Vor allem aber:
Fürst Bülow hat den Kampf gegen das Zentrum gewagt. Daß er nicht
aufgelöst hat, dieser Sonnenfleck in seinem Bilde wird in der Geschichte
verschwinden. Er wird der Kanzler bleiben, der nochmals in schwerer
Stunde den Kampf gegen Rom gewagt hat. (Stürmischer Beifall.) Das
vergißt ihm das deutsche Volk nicht. Seine Schöpfung, der Block, wird
seine Wiedergeburt feiern (lebhafter Beifall); in machtvoller Einigkeit steht
unsere Partei da. Die neue Zeit findet uns einig zum Kampf. Organisieren
wir allenthalben (stürmischer Beifall); der heutige Parteitag soll sprechen eine
offene freimütige Sprache und ein Bekenntnis der Partei für eine gerechte
soziale Steuerreform. Den Pyrrhussieg des schwarzen Blocks können wir
nicht ändern, aber unsere Parole bleibt: salus publica, das allgemeine Wohl.“
4. Juli. Flugblatt des deutsch-kons. Vereins für Schlesien.
Das Flugblatt wird verbreitet zur Verteidigung gegen die Vor-
würfe wegen der Ablehnung der Erbanfallsteuer und des Rücktritts des
Reichskanzlers. Weder habe die Partei den unbestreitbar hochverdienten
Fürsten Bülow aus dem Amt bringen wollen, noch könne von einem
Bündnis mit dem Zentrum und den Polen wegen der künftigen Reichs-
politik die Rede sein.
4. Juli. (Berlin.) Parteitage der Freisinnigen Ver-
einigung und der Freisinnigen Volkspartei.
Der erstere nimmt folgende Resolution an: „Der Parteitag dankt
der Fraktion, daß sie nach Ablehnung der Erbschaftssteuer grundsätzlich jede
weitere Mitwirkung an der sogenannten Finanzreform verweigert hat, die
jetzt lediglich eine Gewerbe, Handel, Verkehr und das bewegliche Kapital
treffende übermäßige Steuererhöhung darstellt. Der Parteitag erachtet
jede wirkliche Gesundung der Reichsfinanzen für ausgeschlossen: 1. solange
nicht das politische Verantwortlichkeitsgefühl in allen Schichten des Volkes
durch eine alle Arten des Besitzes gleichmäßig treffende bewegliche direkte
Steuer wachgerufen wird; 2. netatte nicht mit der Verteurungspolitik
ebrochen wird, die dem Volke ungeheure Lasten zugunsten der Großgrund-
gesterr und einiger weniger Großindustrien auferlegt; 3. solange ein Teil
der Steuern zur Subventionierung einzelner Gewerbe durch Liebesgaben
verwendet wird. Klar hat sich gezeigt, daß die Regierungen keine Schutz-
wehr gegen unerhörte Beschlüsse der Reaktion sind, daß ihnen der Mut
fehlt, durch Auflösung des Reichstages an das Volk zu appellieren. Da
die Macht der Reaktion nicht auf der Mehrheit der Wählerschaft, sondern