262 Das Dentsche Reith und seine einzelnen Slieder. (Juli 10.)
daß der Herr Reichskanzler, wie es ja scheint, den endgültigen Entschluß
gefaßt hat, aus seinem Amte zu scheiden. Meine politischen Freunde
haben nicht vergessen, sie werden es nicht vergessen, und auch das Deutsche
Reich wird es nicht vergessen (Zuruf links: Daß Sie ihn gestürzt habenl),
was dieser Staatsmann für uns gewesen ist. (Sehr wahr! links, Zuruf:
Der Dank vom Hause Heydebrand!) Dieser Saal ist oft genug Zeuge
gewesen, mit welch hinreißender Klarheit und Geistesschärfe dieser be-
deutende Mann die Interessen des Landes und des ganzen Reiches nicht
bloß im Innern, sondern auch nach außen hin vertreten hat. (Beifall
rechts.) Es würde ein kleinlicher Standpunkt sein, wenn wir das auf
die Gefahr hin, daß Sie uns Motive unterlegen, die wir nicht haben,
in dieser Stunde nicht offen und ehrlich anerkennen wollten. Wir haben
nicht vergessen, was dieser Kanzler gerade auch für die wirtschaftlichen
Interessen des Landes (Zuruf von den Sozialdemokraten: Das große
Portemonnaiel), deren Schutz und Sicherheit getan hat, wir haben nicht
vergessen, mit welcher niederschlagenden Beredsamkeit — anders kann man
es nicht ausdrücken — er gerade der Partei entgegengetreten ist, die hier
zu meiner Linken steht und einer Partei, die nicht mehr sein würde, wenn
Worte und Beweise ausreichten, sie zu vernichten. Gewiß, m. H., auch noch
elwas anderes wünschen meine Freunde in diesem Augenblick ausdrücklich
anerkannt zu sehen: daß wir dem Herrn Reichskanzler zu Dank verpflichtet
sind für die männliche und feste Art, mit der er so oft auch vor die Person
und für die Person unseres Königs und Kaisers getreten ist. Und einen
solchen Reichskanzler hätten wir stürzen wollen, weil er eine Aenderung
der Form des preußischen Wahlrechts angekündigt hat!? Daß uns diese
Ankündigung gefallen hätte, kann ich ja nicht behaupten (Heiterkeit), aber
wir sind doch auch in Preußen modern genug, zu wissen, daß kein Gesetz
und auch kein Wahlgesetz ewig ist und ewig sein kann; denn das sind
Dinge, die ordnen sich an und müssen sich anordnen dem wechselnden Fluß
unserer ganzen politischen Entwickelung. (Sehr gut! rechts)) Und
m. H., etwa weil er sich für die Erbsteuer entschieden hat? Gott, m. H.,
den Weg nach Damaskus verzeihen wir ihm! (Große Heiterkeit linka))
Aber m. H., er verlangte auch von uns das Opfer der Ueberzeugung in
diesem Falle; das war ja immer noch etwas anderes. Ich würde zugeben,
daß es den Herrn Reichskanzler leicht hätte stutzig machen können, wenn
ohne jede Voraussetzung unsere Mitwirkung bei dieser Vorlage ihm auch
dann-versagt worden wäre, wenn er sie in einer politischen Notwendigkeit
gebrauchte. Aber diese Sache lag doch eigenartig. Der Herr Reichsklanzer
wußte — das sage ich hier ganz offen — längst, ehe dieses Gesetz und
dieses Reformwerk zur Vorlage kam, ganz genau — und wir haben es
ihm in der autoritatiosten Weise seitens unseres Herrn Vorsitzenden mit-
geteilt, daß es für unsere Partei eine Unmöglichkeit sein wird, nach allem,
was uns nach unseren Parteiansichten zukam, dies Gesetz zu verabschieden,
und daß, wenn er eine Vorlage für das Reformwerk machte, wir kaum
in der Lage sein würden, ein solches Gesetz trotzdem mit unserer Ueber-
zeugung zu vereinbaren. Der Herr Reichskanzler wußte also, wie unser
Standpunkt in der Sache war und er wußte es zu einer Zeit, wo vielleicht
ein anderer Weg noch hätte gegangen werden können. Und, m. H., es
mag ja sein, daß der Herr Reichskanzler in der letzten Entwickelung dieser
Dinge uns bekannt gegeben hat, daß an unsere Zustimmung zu diesem
Gesetze vielleicht die Frage seines Rücktritts geknüpft werden könnte; das
mag sein; ich will das nicht in Abrede stellen. Es kann ja auch sein,
daß uns der Herr Reichskanzler auch schon bei früheren Vorschlägen und
Gesetzesvorlagen ähnliche Mitteilungen gemacht hatte, und es kann vielleicht