Das Denisqe Reiq und seine einzelnen Glieder. (Juli 10.) 269
ich weise doch darauf hin, daß ein führendes Blatt der Polen, und zwar
ein Blatt, das in Prag erscheint (Lachen bei den Polen und im Zentrum),
vor wenigen Tagen einen Artikel brachte, auf Grund eines Interviews
mit dem Chefredakteur der hiesigen polnischen Zeitung, worin es heißt:
„Die polnische Fraktion im Reichstage hat auf diese Art — nämlich durch
das Zusammengehen mit den anderen — eine Politik der polnischen Rache
geübt. Der geeignete Augenblick war den Polen gekommen, mit ihren 20
Stimmen entschieden sie das Schicksal der Erbschaftssteuervorlage. Diese
siel mit Hilfe der polnischen Stimmen, und wenn Fürst Bülow infolge
des ablehnenden Botums der Mehrheit seinen Abschied gegeben hat, so
fühlt er jetzt die Folgen seiner antipolnischen Politik. Ich erkläre mit
allem Nachdruck, daß die polnischen Mitglieder einzig und allein die Be-
seitigung Bülows erzielen wollten.“ Ich glaube, daß das doch eine ziem-
liche autoritative Stellung der polnischen Partei ist. Es ist kein Zweifel,
daß die Nachlaßsteuer oder die Erbanfallsteuer den Anlaß für die Bildung
der neuen Konstellation im Reichstage gegeben hat. Sie war das Rückgrat
des Finanzplanes der Regierung, und die Ablehnung dieser Steuer mußte
von ihr als eine mit vollem Bewußtsein ihr zugefügte Niederlage ver-
standen werden. Darüber kann nach dem, was in der Thronrede steht,
was der Reichskanzler, der Schatzsekretär, was zahlreiche einzelstaatliche
Finanzminister in der Kommission und im Hause wiederholt, ein Dutzend-
mal erklärt haben, gar kein Zweifel sein. Es ist ein Irrtum, wenn man
meint, daß die Nachlaßsteuer oder Erbanfallsteuer die Erfüllung eines
liberalen Parteiprinzips oder auch nur eines liberalen Steuerprinzips sei.
Die Erbanfallsteuer ist nicht ein liberales Prinzip, sie ist in die Regierungs-
vorlage hineingekommen, weil sie die einzige, zurzeit durchführbare Form
einer allgemeinen Besitzsteuer ist. Herr v. Heydebrand hat ja heute klar
zum Ausdruck gebracht, daß die Konservativen die Erbanfallsteuer ab-
gelehnt haben, weil sie eine Besitzsteuer war. Der soziale Gedanke von
dem Korrelat der Besitzenden, aber auch aller Besitzenden, der für uns
eine Kern= und eine Vorbedingung für unsere Mitarbeit in allen Stadien
war, kam in der Regierungsvorlage nur in einer äußerst schonenden und
bescheidenen Form zum Ausdruck. Ich erinnere an die ausgezeichnete Rede
des Herrn v. Rheinbaben, in der er darlegte, daß diejenigen, die von der
Erbanfallsteuer eine unerträgliche Belastung der Landwirtschaft befürchten,
die Vorlage entweder gar nicht gelesen haben, oder, wenn sie es getan
haben, in einseitig agitatorisch demagogischer Weise falsche Folgerungen
aus der Vorlage ziehen. Es ist schlagend nachgewiesen, daß nur 10 Prozent
der Landwirtschaft von der Steuer betroffen worden wäre. Der Mittel-
stand in Stadt und Land hat sich bis in die letzten Tage hinein ein-
stimmig für diese Steuer ausgesprochen. Er hat seiner Meinung dahin
Ausdruck gegeben, daß er durch diese Erbanfallsteuer erheblich weniger be-
troffen würde, als durch die neuen Steuern des Steuerblocks. Wenn die
Erbanfallsteuer in ihrer maßvollen Form auch nur durch eine Zufalls-
mehrheit abgelehnt worden ist, so kommen wir um die Tatsache nicht herum,
daß diejenigen, die an dieser Ablehnung mitgewirkt haben, mit antisozialer
Einseitigkeit einzelner und einzelner Klassen und mit Egoismus und Mangel an
Steuerwilligkeit über das Gerechtigkeitsgefühl einen Sieg davongetragen haben.
Diesen Eindruck bei der großen Mehrheit des Volkes werden Sie nicht verwischen
können. Man hat von einer Gefährdung des Familiensinns gesprochen. Dieses
schöne Wort und diese gute Sache ist in letzter Zeit arg in Mißkredit gebracht
worden. Der Familiensinn hat nur insoweit ein sittliches Recht, als er mit
dem Staatssinn in Einklang zu bringen ist. Es war doch auch ein Stück deut-
schen Staatssinns, daß der Familiensinn opferbereit war. (Sehr gut! links.)