Nas Vetsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 10.) 281
wisse Beruhigung, und für die, die sie erst einführen, ein gewisses avis au
lecteur. Wenn Herr Cuno gesagt hat, die Spekulation würde gefördert
werden, so erwidere ich ihm, daß wir Mißbräuchen nachdrücklich begegnen
werden. Ich werde mich schwer hüten, zu sagen, wie ich mir das denke,
da sich sonst die Spekulation das zunutze machen würde. (Heiterkeit und
Beifall rechts und im Zentrum.)
Abg. Dr. Müller (Meiningen) (frs. Vp.): Das beste Wort unter
allen, die der Schatzsekretär bei der Eröffnung des Kampfes um die Reichs-
finanzreform gesprochen, hat er eben geäußert: es ist ein merkwürdiges
Schauspiel, das sich hier abspielt. Ich glaube sagen zu können, daß kein
Gesetz der Welt je auf solche Weise entstanden ist wie dieses Gesetz. Im
deutschen Reichstage hat es eine solche Gesetzmacherei noch nie gegeben. Man
hat die Vorlage in der Kommission durchgepeitscht, man hat sie dann im
Plenum durch eine Unzahl Amendements verbessern wollen — verschlechtert
hat man sie dabei — und jetzt werden noch in der dritten Lesung eine
Fülle von Anträgen gebracht. Dann hat man das ganze Gesetz wieder
herausgenommen und hat damit die ganze bisherige Arbeit selbst desavouiert.
Nun will man eine derartige, geradezu unerhörte Fassung in ein anderes
Gesetz hineinbringen. Das ist ein staatsrechtliches Vorgehen, wie es bisher
im deutschen Reichstag noch nicht erlebt wurde. Es gibt kein Wort, das
scharf genug ist, um ein derartiges Vorgehen zu brandmarken. Der Schatz-
sekretär hat eingestanden, daß er diesen schönen Antrag des Grafen Westarp
selbst fabriziert hat. Daraus geht wenigstens das eine hervor, daß die
Regierung sich allmählich schämt über die Art, wie die Geschäfte hier ge-
führt werden. Durch diesen Antrag wird auch zum Ausdruck gebracht,
daß die Regierung ein Gesetz wie das Finanzgesetz in diesem Zustande gar
nicht publizieren kann. Infolgedessen haben Sie diese Bestimmungen, die
sie unter Bruch der Geschäftsordnung in das Finanzgesetz hineingebracht
haben, hier wieder herausgenommen. Ein Bestandteil dieser schönen Gesetz-
gebung ist auch dieses herrliche Wertzuwachssteuergesetz. Eine derartige
Gesetzesmacherei nennen Sie Finanzreform, Finanzordnung. Das ist die
babylonische Verwirrung auf dem Gebiete der Finanzen.
Abg. Dr. Südekum (Soz.): Das Kontingentierungsverfahren, das
Sie bei der Brausteuer eingeführt haben, wollen Sie hier auch anwenden.
Ich glaube, daß sich kein Reichstag finden wird, der die wichtigsten Hilfs-
quellen für die Kommunen verstopfen wird, wie es im Antrag Westarp in
Aussicht gestellt ist.
Der Antrag Westarp auf Einführung einer provisorischen Wert-
zuwachssteuer wird in namentlicher Abstimmung mit 222 gegen 128
Stimmen bei zwei Enthaltungen angenommen.
Abg. Graf v. Carmer (Zieserwitz) (deutschkons.): M. H., nur ganz
wenige Worte möchte ich mir erlauben, zur Begründung meines Antrages
zu sagen. Es handelt sich in diesem Antrage um den durch landesgesetzliche
estimmungen gebundenen Familien-Fideikommißbesitz, die Lehngüter und
die Stammgüter. Es ist ja ganz klar, daß dieser eben von mir bezeichnete
rechtlich gebundene Grundbesitz der Umsatzsteuer nicht unterliegt; das ergibt
sich ohne weiteres aus dem Charakter desselben, der darin besteht, daß er
eben nicht veräußert werden darf. Angesichts der augenblicklichen mißlichen
Finanzlage des Reiches erschien es aber nicht berechtigt, daß dieser rechtlich
gebundene Grundbesitz eine Ausnahmestellung einnehme. Wir sind viel-
mehr der Ansicht, es sei billig, daß der gebundene fideikommissarische Grund-
besitz dieses Opfer bringt wie der freie Besitz und dem Reiche, das an-
gesichts der jetzigen Finanzlage gezwungen ist, zu der Umsatzsteuer von
eichs wegen zu greifen, eine Ausgleichsabgabe bietet. Diese Ausgleichs-