286 Das Dentsche Reih und seint einzelurn Glieder. (Juli 14.)
dem zur ausschlaggebenden Stellung zurückverlangenden Zentrum Hand-
langerdienste geleistet haben. Wenn die Konservativen jetzt erklären lassen,
sie hätten die grundsätzliche Ausschaltung des Zentrums für einen politischen
Fehler gehalten, so kann damit nur die Blockpolitik gemeint sein. Denn
den politischen Fehler der grundsätzlichen Ausschaltung des Zentrums habe
ich nie begangen. Wenn aber die Konservativen die Blockpolitik für einen
Fehler gehalten haben, so verstehe ich nicht, warum sie zweieinhalb Jahre
hindurch diese Politik mitgemacht und durch Stellung des ersten Präsidenten
im Reichstag sanktioniert haben. Ich vermag hier politische Logik und
Konsequenz nicht zu entdecken. Aus ihrer Abneigung gegen die Erbschafts-
steuer haben die Konservativen allerdings von vornherein kein Hehl ge-
macht. Das war ihr gutes Recht, das ihnen niemand bestreitet und
niemand verübelt. Aber daß sie sich gleich zu Anfang der Beratungen
mit solcher Starrheit festgelegt haben, das war auch vom Standpunkt der
Partei, nach meiner Ueberzeugung, ein schwerer Fehler. Ja, wenn es sich
um Hauptpunkte des konservativem Programms gehandelt hätte, um
Glanbensfragen, um Schul= und Kirchensachen, um Kronrechte, um die
Fundamente von Heer und Flotte, oder um Stellungnahme gegen eine
Radikalisierung des preußischen Wahlrechts, oder wenn es sich um die
Grundlagen der Reichs= oder Landesverfassung gehandelt hätte, dann wäre
die Haltung der Konservativen verständlich gewesen. Aber die Ausdehnung
der Erbschaftssteuer, deren Prinzip sie ja schon anerkannt hatten, ist nicht
eine Frage, die konservative Grundsätze berührt, von der Sein oder Nicht-
sein der konservativen Partei abhängt. Diese Frage ist künstlich aufgebauscht
worden. Und wenn man jetzt nachträglich das Prinzip des Reichstags-
wahlrechts in diese Debatte wirft, in einem Moment, wo man den Massen-
konsum erheblich belastet, so, fürchte ich, hat man nur Wasser auf die
sozialdemokratischen Agitationsmühlen geleitet. Das Land wird auch mehr
und mehr erkennen, daß, wenn die Haltung der Konservativen eine andere
gewesen wäre, die Finanzreform in einer nicht nur gquantitativ, sondern
auch qualitativ befriedigenderen Weise ohne Sprengung des Blocks, ohne
Wechsel in der Regierung, ohne Preisgabe der Errungenschaften und
Hoffnungen des Wahlkampfes vom Januar 1907, des schönen Aufschwungs
von damals sehr wohl zustande kommen konnte. Inzwischen zeigt sich ja
immer mehr, welche Besorgnisse die Haltung der Konservativen im Lande
hervorgerufen hat. Das Land fühlt die Gefahren, welche diese Haltung
für die Partei selbst und für das Vaterland in sich birgt. Diese Haltung
kann der Ausgangspunkt einer Entwickelung werden, die erbitterte Partei-
gegensätze schafft, unnatürliche Parteigruppierungen hervorruft, für das
Wohl des Landes nicht zuträglich ist. Fürst Bismarck hat mehr als einmal
gesagt, ob eine politische Aktion richtig sei oder nicht, lasse sich meist nicht
im Momente, sondern erst einige Jahre später beurteilen. Das gilt auch
für die Aktion, welche die Führer der konservativen Partei jetzt gegen mich
in Szene gesetzt haben. Ob sie richtig und für das Land ersprießlich war,
wird sich auch bei den nächsten Wahlen zeigen. Ich kann doch wohl für
mich in Anspruch nehmen, daß ich die Sozialdemokratie nicht nur in ihren
Führern rednerisch überwunden, sondern ihr eine schwere, praktisch und
politisch bedeutungsvolle Wahlniederlage beigebracht habe. Indem die
Fraktion von 80 auf 40 Sitze heruntergedrückt wurde, ist der Beweis
geliesert worden, daß die Sozialdemokratie auch ohne Ausnahmegesetze
und Polizeimaßregeln bekämpft und besiegt werden kann. Wir werden
sehen, ob dies bei den nächsten Wahlen wieder gelingt. Die Sozial-
demokratie befindet sich jetzt in rückläufiger Bewegung. Wir werden sehen,
ob die sozialdemokratische Flut weiter zurückgehen wird. Wir werden auch