202 H%# Neufsche Reich und seine eintelnen Glieder. (Juni 12.—14.)
12. Juni. (Preußen.) Landtagsersatzwahl.
Von 325 Wahlmännern wurden im Wahlkreise Oppeln-Kreuzburg-
Rosenberg 237 Stimmen für den Rittergutsbesitzer Grafen von Zieten
zu Smolitz (Zentrum) abgegeben, der somit gewählt ist. 88 Stimmen
fielen auf den Kreisschulinspektor Kerz (deutschnational) zu Kreuzburg.
13. Juni. (Berlin.) Der Kaiser empfängt die türkische
Sondergesandtschaft in Gegenwart des Staatssekretärs Frei-
herrn v. Schoen.
14. Juni. (Zur Reichsfinanzreform.) Ueber die neuen
Steuervorlagen der Regierung berichtet ein Berliner Telegramm
der „Kölnischen Zeitung"“:
Nachdem die Regierung die Ueberzeugung erlangt hatte, daß das
Gesetz über die Nachlaßsteuer in der ursprünglich gewünschten Form eine
Annahme im Reichstage nicht finden würde, und nachdem ebenso die
Elektrizitäts-- und Inseratensteuer auf stärksten Widerstand gestoßen waren,
hat sie versucht, den hierdurch entstandenen Ausfall durch andere Steuern
zu decken. Diese Steuern, die nunmehr auch vom Bundesrat angenommen
Ealten sind und die Genehmigung des Kaisers gefunden haben, sind
olgende:
1. eine Erbanfallsteuer, veranschlagter Ertrag 55 Millionen
2. ein Versicherungsstempel von ¼ pro Mille 35 „
3. Effektensftempel.. 10
4. Umsatzstempel für Immobilien von ½ Prozent „
5. Wechselstempel und 6. Scheckstempel . 20 »
zufammenUOMtlllionem
Die Erbbesteuerung, so wie sie in der ersten Vorlage gedacht war,
bildete jedenfalls die beste Form einer Besitzsteuer, und ein Gleiches kann
der neuen Erbanfallsteuer, vorbehaltlich der Prüfung der Einzelheiten,
nachgesagt werden, nur daß sie 50 Millionen weniger bringt. Diesen
Fehlbetrag durch neue Steuern zu ersetzen, bot sehr große Schwierigkeiten,
da die Besitzsteuern, die etwa hätten in Betracht kommen können, den
Einzelstaaten, die auf sie nicht verzichten wollten und konnten, vorbehalten
bleiben müssen oder schon von den Kreisen und Gemeinden mit Beschlag
belegt sind. Um das System der Besitz= und Vermögenssteuer nicht zu
verlassen, hat die Regierung unter diesen Umständen den Versuch gemacht,
das Vermögen in seinen einzelnen Erscheinungsformen zu fassen und
sonach indirekt zu treffen. Das Vermögen stellt sich dar als Immobiliar-,
Mobiliar- und reiner Kapitalbesitz. Durch den Versicherungsstempel werden
Immobiliar= und Mobiliarbesitz gleichmäßig getroffen, und diese Besteuerung
erscheint als eine ziemlich lückenlose, da man im ganzen und großen an-
nehmen darf, daß alle Eigentümer größerer Besitztümer ihren Besitz ver-
sichert haben, also durch die Steuer getroffen werden. Von vornherein
steht diesem Stempel das Bedenken entgegen, daß er vielleicht abschreckend
auf die so segensreiche Versicherung einwirken und dadurch die gedeihliche
Entwickelung unseres zu großer Bedeutung gelangten Versicherungswesens
beeinträchtigen könne.
Die Umsatzsteuer, die ausschließlich den Besitz von Grundstücken trifft,
ist auf ½ Prozent des Kaufpreises festgesetzt worden. Eine Steuer in
dieser Höhe erscheint nicht ohne weiteres als unerträglich und ist auch
gerecht, wenn man bedenkt, wie stark der Mobilbesitz durch andere Steuern