16 Das Vee#ische Reich und seine rinzelnen Glieder. (Januar 19.)
verfahren, das darin bestand, die jüngern Söhne einer Familie in über-
seeische Länder zu schicken, um dort eine Art „neues Frankreich“ zu schaffen.
Der Redner nannte das die „große Kolonisierung“, die auch Deutschland
zu empfehlen sei. Denn was Deutschland nötig habe, das seien Absatz-
gebiete für seine Industrie und seinen Handel, und Ansiedlungsgebiete für
seine Auswanderer, die die Rohstoffe hervorbringen müßten, die das
Mutterland bearbeite, um sie dann wieder auszuführen. Der Redner
zollte dann den jungen deutschen Handelsangestellten, die er in den
Kolonien angetroffen habe, großes Lob; sie seien begabt und sehr eifrig.
19. Januar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Am
zweiten Tage der Etatsberatung greift der Reichskanzler Fürst
Bülow in die Debatte ein:
Ich habe zur Rückkehr zur altpreußischen Sparsamkeit ge-
mahnt und bleibe dabei. Gewiß, wir können und dürfen nicht sparen auf
Kosten unserer Schlagfertigkeit, dazu ist unsere geographische Lage zu un-
günstig. Aber auch in der Militärverwaltung, der Marineverwaltung, gibt
es noch Gelegenheit genug zu sparen. Und von allen Seiten und auf
allen Gebieten der Staats= wie der Reichsverwaltung — das ist ja von
allen Seiten übereinstimmend hervorgehoben worden — muß jede neue
Ausgabe dreimal überlegt werden. Regierung und Parlament müssen auf-
diesem Gebiet zusammenwirken. Auch die Parlamente haben schuld an
der finanziellen Misere (Sehr wahr!), sie müssen aufhören, immer auf
neue Ausgaben zu drängen, nur um sich bei den Wählern lieb Kind zu
machen. (Lebhafte Zustimmung.) Eine solche captatio benevolentige
gegenüber den Wählern darf nicht zu weit gehn. Ich will es ja nicht
tragisch nehmen, aber es ist doch ein Zeichen dafür, wie die Parlamente
aufgehört haben, sehr sparsam zu wirtschaften, wenn sogar in diesem Haus
bei der Beratung der Eisenbahnvorlagen Münsche geäußert werden,
welche — ich habe es zusammengerechnet — die Schuldenlast um Milliarden
vermehren würden. Und im Reiche ist es durchaus nicht besser, wenn es
sich um sozialpolitische Vorlagen handelt, oder um die Verbesserung der
Beamtengehälter. (Sehr richtig!) Das sind ja sehr schöne, sehr gute,
sehr vortreffliche Sachen, für die ich volles Verständnis besitze, aber hier
wie überall muß der Grundsatz Geltung gewinnen, welcher die Grundlage
jeder vernünftigen Privat- und Staatswirtschaft ist: keine Ausgabe ohne
entsprechende Deckung. (Lebhafte Zustimmung.) Ich beziehe mich auf
meinen Erlaß vom vorigen Sommer. Die Möglichkeit größerer Sparsam-
keit auf vielen Gebieten besteht. Auch der ernste Wille ist an allen Stellen,
solche Ersparnisse wirklich zur Durchführung zu bringen. Der Anregung
soll die Tat folgen. Es finden zunächst Besprechungen zwischen allen
preußischen Ressorts und Reichsressorts statt, um die besten Mittel und
Wege zu finden.
Der Herr Abg. v. Pappenheim hat gestern sehr nachdrücklich Stel-
lung genommen gegen die Nachlaßsteuer, aber bei der Entscheidung
über die Mittel, die notwendig sind, um Ordnung in unsere Finanz-
verhältnisse zu bringen, dürfen Parteiprogramme und Parteigrundsätze
nicht den Ausschlag geben. Da müssen alle Parteien mithelfen und Opfer
bringen. Weil aus schwerwiegenden Gründen eine Vermögenssteuer sich
für das Reich nicht eignet, haben die verbündeten Regierungen die Aus-
gestaltung der Erbschaftssteuer und die Erhöhung der Matrikularbeiträge
vorgeschlagen. Die Gründe gegen die Besteuerung der Deszendenten
und Ehegatten sind mir sehr wohl bekannt. Ich habe ja selbst auf