Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Des Veische Reich und seine eintelnen Slieder. (Aug. 29./2. Sept.) 305 
nicht dulden, daß die Erteilung des Religionsunterrichts infolge unrichtiger 
und einseitiger Ueberspannung des Nationalitätsprinzips in einer Weise 
erfolgt, die dessen segensreiche Wirkung sowohl für die Heranbildung treuer 
Staatsbürger wie auch für die Erziehung guter Christen völlig zu ver- 
hindern geeignet ist. In den amtlichen Lehrplänen für die höhern Schulen 
Preußens vom Jahre 1901 wird ausdrücklich erklärt, daß für schwierige 
und tiefgehende Erklärungen, namentlich bei der Grammatik, überall mit 
Recht auf die Muttersprache zurückgegriffen werde. Wenn das für die 
höhern Lehranstalten selbstverständlich erscheint, dann kann man es nicht 
für angängig erachten, daß der Religionsunterricht an polnische Volks- 
schulkinder in einer für sie fremden, jedenfalls wenig geläufigen Sprache 
erteilt wird. Religionsunterricht in der Muttersprache ist einmal das 
Prinzip, so sagt als gewiß unverdächtiger Zeuge Professor Hans Delbrück, 
das den Polen in diesem Kampfe die unbedingte moralische Ueberlegenheit 
ibt. Da wir das Ziel der Schule hauptsächlich in der Erziehung der 
Ingend u religiös-sittlichen Charakteren erblicken, so muß die Kirche auch 
in der “ sein, darüber zu wachen, daß die gesamte Erziehung der 
Jugend von religiös-sittlichem Geiste getragen und geleitet werde. Wir 
verlangen, daß dieses unantastbare Recht gesetzlich klar anerkannt und fest- 
gelegt wird.“ 
Ueber das Verhältnis des Volksvereins zum Episkopat sprachen Fr. 
Brandts aus M.-Gladbach und Generaldirektor Dr. Pieper im Sinne 
des engen Anschlusses an die bischöfliche Leitung und mit deutlicher Ab- 
lehnung des von der „Kölnischen Volkszeitung“ geltend gemachten inter- 
konfessionellen politischen Standpunktes. 
Kardinal Kopp beseitigt die Schwierigkeiten, indem er erklärt: Der 
Episkopat fürchtet nicht, daß das Zentrum den Volksverein beherrschen 
werde, er hat auch nichts dagegen. Der Volksverein ist aber ein selb- 
ständiger Verein, der nicht politische, sondern religiöse und soziale Zwecke 
vertritt, und darum hat der Episkopat kein Mißtrauen gegen ihn, sondern 
volles Vertrauen. 
In der zweiten öffentlichen Versammlung, in der auch der Kardinal 
erschien, und die wiederum überfüllt war, sprach zunächst Rechtsanwalt 
Herschel aus Breslau über den Bonifaziusverein, der die Bestimmung 
hat, in vorwiegend protestantischen Gegenden Deutschlands, Oesterreichs 
und der Schweiz für regelmäßigen Gottesdienst sowie die Errichtung und 
Erhaltung von Schulen und Kirchen für die katholischen Minderheiten zu 
sorgen. Die Unterstützung des Bonifaziusvereins sei eine Förderung der 
sozialen Frage, die nicht nur eine Messer- und Gabelfrage, sondern auch 
eine Bildungsangelegenheit sei. Wohltuend berührte die Versicherung, daß 
auf diesem Gebiete ein edler Wettstreit unter den Konfessionen entbrennen 
könne, der den Gegner nicht verdächtige und verletze, sondern ihn lediglich 
in Werken der Liebe übertreffen wolle. Rechtsanwalt Dr. Bell aus Essen 
behandelte die Aufgaben und Leistungen der deutschen Katholiken 
auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet. Die deutschen Katho- 
liken hätten den sozialen und wirtschaftlichen Befähigungsnachweis erbracht 
und die Führer hätten die sozialpolitische Meisterprüfung glänzend be- 
standen. In der Industrie und namentlich in der Großindustrie seien die 
deutschen Katholiken aus freilich meist unverschuldeten Gründen nicht ge- 
nügend vertreten. Hinein in die Industrie! Hinein in die Großindustrie! 
müsse der Ruf für den katholischen Volksteil sein. Die Vorbedingung 
dazu sei ein stärkerer Besuch der Realschulen. Die Großindustrie meine 
leider vielfach, unsere Sozialpolitik erschöpfe sich in einseitiger Wahr- 
nehmung der Arbeiterinteressen; aber sie betone auch die Pflichten der 
Europäischer Geschichtselender. L. 20
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.