Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Var Deuische Reich und seine rinteinen Slieder. (Aug. 29./2. Sept.) 307 
an die ehrenwerte und verantwortungsvolle Stelle der Nachtwächter —, so 
wollen wir uns doch keinen Illusionen darüber hingeben, daß noch manches 
Jahr vergehen wird, bevor die Parität, die auf dem Papiere, in der Ber- 
fassung besteht, Leben und Wirklichkeit gewinnt. Von welcher Presse werden 
wir in diesem Kampfe unterstützt? Als vor mehreren Jahren Schlesien 
einen katholischen Oberpräsidenten erhielt, der über den Verdacht des 
Ultramontanismus erhaben war, las man in dem Hauptorgan der Partei, 
mit welcher wir in der Verteidigung des christlichen Staatsgedankens 
übereinstimmen, das Wort von den „Beklemmungen“ der evangelischen 
Bevölkerung. Wenn uns Katholiken ein evangelischer Oberpräsident Be- 
klemmungen verursacht hätte, ich befürchte, der Atem wäre uns allen längst 
ausgegangen. Auch in der Wahrung des konfessionellen Friedens bedürfen 
wir der katholischen Presse, der man das Zeugnis nicht versagen kann, daß 
sie in der Abwehr der konfessionellen Hetze mit Ruhe, Takt und Besonnen- 
heit vorgeht und bemüht ist, die religiöse Empfindung Andersgläubiger 
u schonen. Wenn wir heute im Feuer der Begeisterung den festen Vorsatz 
safsen, katholische Gesinnung zu bekennen und zu betätigen, dann ver- 
gessen wir auch nicht, die katholische Presse zu unterstützen, die das un- 
entbehrliche Rüstzeug in den Kämpfen ist, die uns in der Zukunft noch 
bevorstehen. 
Von den übrigen drei Rednern hatte den unbestrittensten Erfolg, 
ja, den größten Erfolg des Katholikentages überhaupt, der polnische Ab- 
geordnete Pfarrer Kapitza aus Tichau (Oberschlesien), der über den „Alko- 
holismus in sozialer Beziehung"“ sprach. Rechtsanwalt Rumpf-München 
sprach über die deutschen Katholiken und die Pflege der Kunst. 
Der Vortrag des Schriftstellers Mumbauer-Rom über die deutschen Ka- 
tholiken und die Literatur mußte der späten Stunde wegen erheblich ab- 
Htürzt werden. In der 4. öffentlichen Sitzung sprach der Bamberger 
omdekan Dr. Schädler über den Papst und das Papsttum. Er ver- 
glich Pius X. mit seinem Vorgänger, Leo XIII. In diesem sehe die Geschichte 
jetzt den großen Staatsmann, Diplomaten und Dichter, der eine äußere 
politische Besserstellung der Kirche erreicht hat. Pius X. aber wende den 
Blick nach innen, er sei der religiöse Papst, dessen Interesse der Seelsorge 
und kirchlichen Kleinarbeit gelte. Wer bei der Wahl geglaubt habe, Pius X. 
werde vom Geiste der Moderne geleitet, habe sich getäuscht. Papst Pius 
wolle Reformen, aber nur aus dem der Kirche innewohnenden Geist und 
aus dem übernatürlichen Glaubensleben. Von Politik und Diplomatie ver- 
stehe er nichts nach seinem eigenen Wort, sein Vorbild sei der pastor bonus. 
Der arme Gemeindedienersohn aus Riese sei der Papst aus der Zeit und 
aus dem Volke und deshalb auch der Papst für die Zeit und für das 
Bolk. Die Universalmonarchie des Papstkönigtums kenne keine Personen, 
der Papst sei der Träger eines Prinzips, und dieses heiße Papsttum, heiße 
Kirche. Was Pius X. am schmerzlichsten bewege, sei die Einschränkung 
der Rechte und der Freiheit der Kirche. Darum verlangen wir in dieser 
Stunde, daß der Papst volle und wirkliche Freiheit und Unabhängigkeit 
in Ausühbung seines obersten Hirtenamtes genieße, die die unerläßliche 
Borbedingung für die Freiheit und die Unabhängigkeit der katholischen 
Kirche sind. In einem Schlußwort kam der Präsident Herold noch einmal 
auf das Verbot der polnischen Versammlung zu sprechen: Es war viel- 
leicht nicht so ganz leicht, gerade bei dieser Versammlung uns nach unsern 
alten Regeln zu richten, und uns nur mit unsern eigenen Angelegenheiten 
zu beschäftigen. Denn eingeleitet wurde die Versammlung durch einen 
Angriff von seiten der hohen kgl. Staatsregierung, die es nicht für an- 
gezeigt erachtete, den Teilnehmern polnischer Zunge zu gestatten, am Ar- 
20“
	        
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