Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

Das Dentsqhe Reit und seine einjelnen Glieder. (September 13./18.) 321 
und, besitzenden Klassen die Kosten ihrer volksfeindlichen Politik auferlegt 
werden."“ 
Da Bebel in aller Kürze diese Resolution als eine Ueberrumpelung 
des Parteitages bezeichnet, wird sie zurückgezogen, und es kommt zu sehr 
heftigen persönlichen Auseinandersetzungen zwischen den Revisionisten, die 
das Parteihaupt Bebel für sich in Anspruch nehmen, und ihren Gegnern. 
Dabei stellt Bebel zur Klärung der Sachlage fest, daß er während der 
Reichstagssession an den Entschließungen der Fraktion nicht teilgenommen, 
sondern immer nur kurze Berichte von Singer erhalten habe. Er habe 
es aber gleich damals für unrichtig und bedenklich erklärt, in der dritten 
Lesung gegen die Erbschaftssteuer zu stimmen. Eine von Dr. Eisner ein- 
gebrachte revisionistische Resolution findet keine Mehrheit. Inzwischen 
eiferte die radikale Parteipresse, besonders der „Vorwärts“, gegen die An- 
näherung der Revisionisten an den Liberalismus. Im Einklang mit 
diesen scheinbar der Parteileitung willkommenen Kundgebungen, wird am 
Mittwoch, den 15. September, der folgende Antrag 41 mit geringer 
Majorität angenommen: „In Anbetracht, daß die bisherige Politik des 
Liberalismus nichts war als eine dauernde Kette des Verrats von Arbeiter- 
interessen, daß auch bei der Finanzreform die Liberalen das arbeitende 
Volk mit der Unsumme indirekter Steuern belasten wollten und jeder 
kraftvollen Opposition Hindernisse in den Weg legten, daß bei den letzten 
Reichstagswahlen die Liberalen aller Schattierungen sich als ein fester 
Bestandteil der einen reaktionären Masse erwiesen und die jetzige agrarisch-- 
klerikale Mehrheit geschaffen haben; daß schließlich der Viermandateraub 
im preußischen Landtage, die Wahlrechtsverstümmelungen in Kiel, Rix- 
dorf usw. von Liberalen inszeniert worden sind; angesichts alles dessen 
muß die Zumutung sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter, mit dieser 
Sorte Liberalen zusammenzugehen und gar die Kritik aus taktischen Gründen 
einzuschränken, wie eine blutige Verhöhnung der Partei anmuten. Die 
Arbeiterschaft hat Mittel und Wege genug, ihren Willen aus eigener 
Kraft durchzusetzen.“ Aber am folgenden Tage erklären die Revisionisten, 
daß viele Genoss n nur irrtümlich für diesen Antrag der „Berliner“ ge- 
stimmt hätten. Es wird deshalb noch einmal abgestimmt, und diesmal 
erklärt sich eine entschiedene Mehrheit gegen den Antrag 41. Ueber diese 
Abkehr von den sozialdemokratischen Prinzipien und über die den Gegnern 
verratene Spaltung innerhalb der Partei bringt der „Vorwärts“ weh- 
mütige Klagen. Um die Gegensätze zu überbrücken kommt daher am 
letzten Tage der Beratungen folgender Antrag des Genossen Dittmann- 
Solingen zur Beratung: „Der Parteitag erklärt, daß durch die nachträg- 
lich veranlaßte Ablehnung des zunächst angenommen gewesenen Antrages 
Berlin 1 in keiner Weise eine Abschwächung der Resolution des Dresdener 
Parteitages über die Taktik der Partei erfolgt ist.“ — In der Begründung 
weist der Antragsteller auf den Jubel des „Berliner Tageblattes“ und der 
„Täglichen Rundschau“ über dieses Fiasko des Parteitages und den Sieg 
der Revisionisten hin. Darauf erklärt namens der Revisionisten der Abg. 
Auer-München: „Wir lassen die Diskussion des Parteitages nicht be- 
stimmen von der bürgerlichen Presse. Ueber den Wert der Dresdener 
Resolution und die Ausführungen des Vorredners sich eingehend zu ver- 
breiten, ist heute keine Zeit mehr, die Ablehnung des Berliner Antrages 
ist von uns aus denjenigen Gründen erfolgt, die auch die überwiegende 
Mehrheit des Parteitages in Essen bestimmt hat, jede Festlegung für die 
künftige Wahltaktik abzulehnen. Wir halten deshalb den Antrag Dittmann 
für überflüssig. Wir halten es aber angesichts der gegenwärtigen Lage 
für eine Notwendigkeit, daß die Partei nicht eine geteilte Abstimmung 
Europäischer Geschichtskalenber. I.. 21
	        
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