350 Jos Neuische Reich und seine einzelnen Slieder. (Dezember 9.)
lassung von Schiffahrtsabgaben auf den regulierten Strömen verbunden
sein würde. Sie können 2 der ernsten Sorge nicht erwehren, daß die
Bestimmungen der Vorlage weite Kreise Deutschlands wirtschaftlich schädigen,
den föderativen Charakter des Reichs antasten, die Eintracht unter den
deutschen Bundesstaaten stören und das Vertrauen in die Unverbrüchlich--
keit der Verfassung erschüttern würden. Sie geben sich der Hoffnung
hin, daß es gelingen möge, die Abgabefreiheit der deutschen Ströme,
dieses Wahrzeichen der deutschen Einheit, dieses Bollwerk des guten Ein-
t- zwischen den deutschen Bundesstaaten, zu schirmen und zu
erhalten."
9. Dezember. (Reichstag.) Erster Tag der Etatsdebatte.
Programmrede des Reichskanzlers über innere Politik. Beleuchtung
der Etats durch den Schatzsekretär. Auswärtige Beziehungen. Die
Tätigkeit des Zentrums. Juristische Gesetzgebung.
Reichskanzler von Bethmann Hollweg: Meine Herren! Der Etat,
in dessen Beratung Sie heute eintreten, ist mit besonderer Vorsicht auf-
gestellt, und das zu tun, war für die verbündeten Regierungen die erste
praktische Forderung aus den Ereignissen der letzten Session. Die Ein-
nahmen sind, wie Ihnen der Herr Schatzsekretär näher ausführen wird,
so veranschlagt, daß sich nach menschlicher Voraussicht das Ist mit dem
Soll decken wird. Allen Anforderungen für die Aufrechterhaltung unserer
Wehrmacht ist genügt. Allgemeine Richtschnur war es, in keinem Ressort
das Maß des unbedingt Notwendigen zu überschreiten. Der Anleihebedarf
ist soweit wie möglich eingeschränkt. Mit den Regierungen werden die
Parteien darin übereinstimmen, daß es unsere erste Aufgabe ist, dem Reiche
eine solide Finanzgebarung zu sichern, und bei der Lösung dieser Aufgabe
werden auch die Parteien wieder zusammenarbeiten müssen, die über den
Steuern auseinandergeraten sind, mögen ihre politischen Differenzen fort-
dauern oder nicht. Auf die Vorgänge der damaligen Zeit greife ich nicht
zurück. Ich kann mir davon keinen Nutzen für die vor uns liegenden
Geschäfte versprechen.
Nur einen Punkt muß ich kurz berühren. Man hat gefragt und
man hat zum Teil diese Frage mit harten Vorwürfen begleitet, weshalb
die Regierungen in den nachträglichen Kampf über die Steuervorlagen
nicht eingegriffen haben. Meine Herren! Es ist nicht richtig, daß sich die
verbündeten Regierungen in diesem Kampf untätig verhalten hätten. Was
in den Streitigkeiten unmittelbar greifbar war, das waren unrichtige Be-
rechnungen über die Verteuerung, die einzelne Verbrauchsgegenstände durch
die neu auferlegten Steuern erfahren haben. Diesen unrichtigen Berech-
nungen sind die verbündeten Regierungen in einer großen Reihe von
berichtigenden und erklärenden Artikeln entgegengetreten. Sie haben es
allerdings getan, ohne sich in die Parteipolemik einzumischen. Das, meine
Herren, haben die verbündeten Regierungen unterlassen. Nicht aus irgend
welchen theoretischen Gründen, nicht weil es ihnen an dem Mut gezeh.
hätte, für die Beschlüsse der Parteien einzutreten, die sich am letzten Ende
über die Bewilligung von neuen Steuern in genügender Höhe verständigt
botten, sondern lediglich, weil sie keinen praktischen Erfolg daraus ersahen.
erhindert hätten sie die Agitation nicht, dazu war die politische Erregung
zu groß. Dafür ist die Kritik an jeder neuen Steuer zu leicht. Anstatt
zu beruhigen, hätten die Regierungen lediglich den Kampf ihrerseits immer
aufs neue wieder angeregt. Ueber die Verantwortung, die die verbündeten
Regierungen übernahmen, als sie die Beschlüsse des Reichstags akzeptierten,